Erste und bisher einzigste Oberbürgermeisterin der Stadt Berlin
Louise Schroeder, Stadtoberhaupt ohne Eitelkeit

Winter 1947: Tausende Berliner erkrankten an Lungenentzündung, schwerer Grippe oder zeigten Erfrierungsmerkmale. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln konnte nicht gewährleistet werden. Unter Leitung von Bürgermeisterin Louise Schroeder erarbeitete ein Notkomitee einen Hilfskatalog, der Wärmehallen, medizinische Versorgung und die Verteilung von warmen Mahlzeiten an Alte und Bedürftige vorsah.

Bürgermeisterin Louise Schroeder? Den meisten Lesern ist Ernst Reuter als Oberbürgermeister der Nachkriegszeit und seine Re-de während der Blockade, die in den Worten "Ihr Völker der Welt: Schaut auf diese Stadt!" gipfelte, im Gedächtnis. Weitere Stadtoberhäupter werden selten genannt, obwohl mit Sicherheit es kein leichtes Regieren in jener Zeit war. Sechzig Jahre danach ist es an der Zeit, an Louise Schroeder zu erinnern und ihr Werk zu würdigen. Sie ist überdies bis heute die einzige Frau, die Oberbürgermeisterin von Berlin war.

Der erste freigewählte Oberbürgermeister im Nachkriegs-Berlin, Otto Ostrowski, wurde am 17.4.1947 zum Rücktritt gezwungen. Bis zur Neuwahl sollte die Bürgermeisterin Schroeder die Amtsgeschäfte weiterführen. Im Juni wurde Ernst Reuter mit deutlicher Mehrheit zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Eine komplizierte Berliner Verfassung, die von allen vier Alliierten gleich nach Kriegsende für Groß-Berlin erlassen worden war, sah jedoch ein Veto-Recht der Besatzungsmächte vor. Ernst Reuter wurde von den Sowjets nicht bestätigt. Er bezeichnete sich selbst als "Der gewählte, aber nicht bestätigte Oberbürgermeister von Berlin" und nahm auch die Aufgaben des Amtes wahr, z. B. bei Verhandlungen mit den West-Alliierten. Aber die offizielle Federführung im Rathaus oblag weiterhin Louise Schroeder... Man stelle sich heutzutage eine solche Konstellation vor!

Wer war diese tüchtige und bescheidene Frau? Sie wurde vor 120 Jahren, am 2.4.1887, in Hamburg-Altona geboren. Keine feine Gegend damals. Keine nennenswerte Perspektive: Viele Geschwister, kärgliche finanzielle Verhältnisse in der Familie, eine höhere Bildung unmöglich. Sie muss aber eine außerordentliche Kämpfernatur gewesen sein. Beruflich arbeitete sie sich - sie war bei einer Versicherungsgesellschaft tätig - kontinuierlich empor, darüber hinaus engagierte sie sich politisch: 1910 trat sie dem SPD-Ortsverband Altona-Ottensen bei.

Man beachte die Jahreszahlen und bedenke die Akzeptanz von Frauen in der Politik zu jener Zeit. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geriet Bewegung in die starren Verhältnisse: Nachdem im Januar 1919 die Wahlen zur Nationalversammlung abgehalten worden waren, gehörten zu diesem verfassungsgebenden Organ von insgesamt 423 Abgeordneten auch 41 Frauen. Louise Schroeder war dabei.

Ihre politische Karriere ging er-folgreich weiter, sie war während der gesamten Zeit der Weimarer Republik Abgeordnete im Reichstag, mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik. 1933 dann der große Schlag: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde sie aller Ämter enthoben und musste sich täglich auf dem Polizeirevier melden.

Während bei ähnlichen Biografien an solchen Wendepunkten deutlich wird, dass die Betreffenden einen gewissen Rückhalt hatten, war bei Louise Schroeder keine Unterstützung in Sicht. Sie eröffnete einen kleinen Brotladen in Hamburg und bediente ihre Kunden mit unendlicher Geduld und freundlichem Lächeln, verweigerte jedoch strikt den "Deutschen Gruß" und das Hissen der Hakenkreuzfahne. Das war schon zuviel, ihr Laden wurde boykottiert.

Wieder eine neue Existenz aufbauen: Sie ging nach Berlin zurück, in die anonyme Großstadt, und fand eine Stellung als Bürokraft, nach nochmaligem Wechsel bei einer Baufirma. Nach und nach übernahm sie Aufgaben in der Sozialabteilung und konnte so bis zum Kriegsende in diesem Kreis ihr soziales Engagement einbringen. Bei Kriegsende war Louise Schroeder 58 Jahre alt und spürte nach den Entbehrungen der vergangenen Jahre, dass ihre körperlichen Kräfte nicht unendlich waren. Sie bedauerte die verlorene Zeit.

Doch die großen Herausforderungen warteten noch auf sie: Im Dezember 1946 wurde sie Bürgermeisterin und dritte Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, aufgrund der oben beschriebenen Wirren im Jahr 1947 Oberbürgermeisterin von Berlin. Sie blieb es bis zur nächsten Wahl im Dezember 1948. Ernst Reuter wurde zum zweiten Mal gewählt und trat jetzt auch sein Amt an. Ein Veto der Sowjets hielt nichts mehr auf, die letzte gemeinsame Sitzung der vier Alliierten hatte längst stattgefunden. Man befand sich mitten in der Blockade, bei der sämtliche Zufahrtswege nach Berlin gesperrt blieben und die Stadt aus der Luft versorgt wurde.

Bis 1951 blieb Louise Schroeder Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, ab 1949 war sie außerdem Berliner Abgeordnete im Bundestag in Bonn. Dieses Mandat blieb ihr letztes großes politisches Amt. Im Winter 1956/57 erkrankte sie schwer. Im April feierte sie noch ihren 70. Geburtstag, im darauffolgenden Juni verstarb sie. Bei dem Staatsbegräbnis, das man ihr zuteil werden ließ, nahmen Tausende Berliner Abschied von ihr.

Marina Naujoks

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April 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis