Der Rüdesheimer Platz
Der mittlere Rhein übte auf
die Berliner schon immer eine besondere Faszination aus: Romantik pur
und alter Mythos -denken Sie nur an die Nibelungensage oder an das Lied
von der Loreley-, alles war am Rhein zu finden. Den Höhepunkt
erreichte diese Bewunderung kurz vor dem Ersten Weltkrieg. So passte es
in diese Zeit (1910-1914), dass ein neues Wohnviertel für das
gehobene Bürgertum genau in diesem Stil errichtet wurde: Das
"Rheinische Viertel" oder auch "Rheingau-Viertel" rund um den
Rüdesheimer Platz.
Aufgeschüttete Terrassen vor den Häusern sollen an Hänge
und Gärten erinnern, wo Wein und Früchte angebaut werden,
daher wird diese Siedlung auch "Gartenterrassenstadt" genannt. Das
Fachwerk ist ohnehin Ausdruck mittelalterlicher Bauweise und Sehnsucht
nach der guten, alten Zeit. Architekt vieler Wohngebäude war Paul
Jatzow. Repräsentative Wohnungen entstanden, im Einzelfall bis zu
400 m² Größe (man zeigte, was man hatte) . Bauherr war
die Terraingesellschaft Südwest unter Federführung von Georg
Haberland, die Jahre zuvor schon das Bayerische Viertel als
Bauträger erschließen und errichten ließ.
Der Rüdesheimer Platz war als Schmuckplatz konzipiert worden, wie
andere Plätze zu jener Zeit auch. Aber hier kann man bis heute
richtig "promenieren", eine gepflegte Gartenanlage unterstützt den
gediegenen Charakter der Umgebung. Der Bildhauer Emil Cauer d. J. schuf
1911 den Brunnen auf dem Platz. Die allegorischen Figuren sollen
selbstverständlich an den Rhein erinnern: Siegfried, der Nibelunge
als Rossbändiger, wasserspeiende Löwenköpfe, menschliche
Figuren, die die Nebenflüsse symbolisieren.
Archiv Rainer Schultz
Die Atmosphäre dort schafft
eine Erinnerung an den Ort, nach dem der Platz benannt ist:
Rüdesheim, vor über zweieinhalbtausend Jahren von den Kelten
gegründet.
Die späteren Eroberer, die Römer, brachten die Kunst des
Weinanbaus mit. Dieser Wirtschaftszweig ist immer noch sehr wichtig.
Ein kleiner Urlaub in Rüdesheim lohnt sich immer, denn Kunst und
Kultur werden sehr gepflegt, aber auch sportliche Aktivitäten
kommen nicht zu kurz. So ist der Segelflugplatz in den Eibinger
Forstwiesen sehr zu empfehlen, nicht nur, um in die Luft zu gehen,
sondern auch als Ausgangspunkt für Wanderungen.
Gestatten Sie noch einen kleinen literarischen Schlenker zur Erinnerung
an die Einflüsse aus der Gegend zwischen Bingen, Mainz und
Wiesbaden: Carl Zuckmayer, der von der Rüdesheim
gegenüberliegenden Rheinseite stammt, schrieb sein
preisgekröntes Stück "Der fröhliche Weinberg" u. a. in
Schöneberg, wo er in den zwanziger Jahren wohnte. Die
Carl-Zuckmayer-Brücke über dem U-Bahnhof Rathaus
Schöneberg erinnert daran. In seinen Lebenserinnerungen ("Als
wär´s ein Stück von mir") erzählt er, dass die
Darsteller vor der Uraufführung bei den Proben aus dem Lachen
nicht heraus kamen, was eigentlich ein schlechtes Omen am Theater ist.
Er erhielt aber 1925 als Autor den Kleistpreis in einer Zeit, als es
noch nicht sonderlich viele derartige Ehrungen gab.
Doch zurück zum Rüdesheimer Platz, der in Wilmersdorf liegt.
Reicht es nicht für eine kleine Reise, dann genießen Sie
wenigstens den Weinausschank auf dem Platz. Natürlich stammen die
Betreiber direkt aus dem Rheingau, Rieslingsweine aus verschiedenen
Orts- und Hanglagen werden offeriert. Das Essen darf sich jeder
mitbringen, es herrscht Picknick-Stimmung bei diesem beliebten
Treffpunkt nach Feierabend für die Bewohner der Umgebung.
Besonderer Höhepunkt in diesem Jahr wird ein Fest am letzten
August-Wochenende mit einem musikalischen Bühnenprogramm,
historischen Führungen, Aktionen und Ausstellungen rund um den
Platz sein (siehe Veranstaltungskalender).
Veranstaltet wird es von Rüdi-Net, einem Netzwerk von Akteuren
rund um den Rüdesheimer Platz, wie z. B. Einzelhändlern,
Dienstleistern, Vereinen und Anwohnern. Wer mehr erfahren möchte,
dem sei die Website www.ruedi-net.de empfohlen.
Doch nun erst mal "Zum Wohl"! Schöne Sommerferien wünscht Ihnen
Marina Naujoks
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Juli/August 2007 Stadtteilzeitung
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