Rainer Schultz ganz privat
Der Stadtgeschichte-Sammler

"Ick bin da! Der rote Teppich is ausjerollt und der Sekt im Kühlschrank!" Na prima, da fahre ich doch gern mal über die Bezirksgrenze nach Wilmersdorf und freue mich auf das Interview mit Rainer Schultz - dem Sammler von Berliner Stadtgeschichte. Riesige Alben stapeln sich auf seinem Wohnzimmertisch. Er sagt: "Die gibt es heute nicht mehr, mit der Größe will sich keener mehr abschleppen." Die Alben sind dick gefüllt mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Postkarten, Kopien, mit Dokumentationen über Wilmersdorf, BVG-Geschichte, den Abschied der Alliierten aus Berlin, den Marathon. 

"Kennen Sie nicht? Können Sie haben!" Auf drei Seiten erhalte ich Einblick in die Geschichte des Rüdesheimer Platzes in Wilmersdorf ab 1892, eine von Rainer Schultz zusammengestellte Recherche. Wer hätte gedacht, dass 1921 mit Hauseigentümern und der Gartenvereinigung eine eigene Gärtnerei gegründet wurde, um die Grünflächen zu erhalten oder dass 1952 die Deutsche Meisterschaft im Rollschuhlaufen rund um den Platz stattfand? 
Rainer Schultz zeigt die Kopie einer Aktien-Urkunde der Wilmersdorfer Terrain Rheingau Aktiengesellschaft von 1904, ausgegeben zur Finanzierung des "Rheingau-Viertel" rund um den Rüdesheimer Platz. Er ist selbst Anwohner, und wen wundert es jetzt noch, bei ihm eine Mappe mit den Namen aller Straßen und den Daten sämtlicher Häuser rundum zu finden. Seine Berliner Fundstellen: Bibliotheken, v. a. Senatsbibliothek Straße d. 17. Juni, Denkmalamt Berlin-Mitte (ganz Berlin), Heimatkundemuseum Wilmersdorf, Landesbildstelle, Amt für Luftbilder, Postkartenmessen. Ein Familienstammbuch von 1905 fand er in der Mülltonne. Hilfreich sind Gespräche mit Nachbarn oder Besuchern - selbst im Cafe´ Achteck. Die Fotos über die Ausbildung einer Hausfrau zur Polizistin 1949/50 vermachte er der Polizeihistorischen Sammlung. Im Gegenzug erhofft er Hilfe aus dem Polizeiarchiv für seine Platzchronik. 

Zum 60. Jahrestag des TAGESSPIEGEL 2005 wurden Leser um private Fotos aus den letzten 50 Jahren gebeten. 19 Fotos in der Jubiläumsbeilage waren von Rainer Schultz, 40 in der Ausstellung am Potsdamer Platz in den Arkaden. 

Schuld ist der ältere Bruder. Der machte eine Lehre zum Fotografen, kaufte dann eine gute Kamera und überließ den alten Apparat dem Jüngeren. Dann bekam Rainer noch ein Buch geschenkt, und irgendwie ergab sich das so mit der Sammlung. Seine Ehefrau ist davon weniger begeistert, backt aber doch mal einen Dankeschönkuchen für die Geber neuer Fundstücke. Eigentlich hatte er 20 Jahre eine Zoohandlung Nähe Bülowbogen. Nun ist er Hausmeister mit Privatarchiv. Ein Wandfoto zeigt ihn sogar als Indianer. 

Im Wohnzimmer trällern der Wellensittich und der Kanarienvogel, nebenan tönt ein Papagei. Rainer Schultz meint "Ick schwitze schon unter der Zunge vom quasseln" und will nun wissen, ob ich schon vom ehemaligen Kino Rüdesheimer Lichtspiele Aßmannshauser Straße / Ecke Homburger wusste. Nein? Er präsentiert ein Foto und den Spielplan 1949/50. Für Erwachsene gab es "Tarzan und die Amazonen", für die Kleinen Disneys "Schneewittchen". Immerhin weiß ich, dass sich heute dort ein Möbelladen befindet. "Aber kennen Sie die Gallwitz-Kaserne? Nee, sagt Ihnen ooch nischt - na dann hör ick uff." 

Er nimmt Beethovens Bildnis von der Wand und platziert sich dort selbst für das Zeitungsfoto. Ich erhalte noch ein Foto vom Rüdesheimer Platz, eine Ansicht vor dem Bau der anliegenden Häuser. Höflich bedanke ich mich für die Broschüre "Der Friedhofswegweiser" DIESSEITS UND JENSEITS, für Berlin-Steglitz-Zehlendorf, und den hoffentlich auch für Sie interessanten Einblick in das Schaffen des "Rüdesheimer-Platz-Archivars" Rainer Schultz. Zum Sommerfest auf dem Platz wird er wie letztes Jahr viele selbst gefertigte Schautafeln zum Thema dem interessierten Publikum präsentieren.

Annetta Mansfeld

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Juli/August 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis