Orte und Plätze in Schöneberg

Das Fernamt in der Winterfeldtstraße

Was sind schon zwei, drei oder vier Generationen? Die Geschichte der Telekommunikation ist kurz und von rasantem Fortschritt geprägt. Erinnern wir uns an die Zeit, als Telefongespräche noch nicht über Satelliten übertragen wurden, sondern durch Handarbeit geschaltet wurden. 

General-Postmeister Heinrich von Stephan ließ sich im Herbst 1877 eine neue Erfindung aus Amerika vorführen, den von Graham Bell frisch erfundenen Telefonapparat. Begeistert und überzeugt vom allgemeinen Nutzen, engagierte er sich für die Einrichtung eines Telefonnetzes in Deutschland. Kurze Zeit danach und -wahrscheinlich wegen seiner Bemühungen zum Staatssekretär befördert, warb er in Berlin für die Verwendung des Fernsprechers als "Verkehrsmittel" und wollte private Investoren gewinnen. Aller Anfang war schwer, die offizielle Inbetriebnahme der "Berliner Stadtfernsprecheinrichtung" am 1. April 1881 begann mit 48 Anschlüssen.

Die Telefonverbindungen zu schalten war ein neues Aufgabenfeld der Telegrafisten. Ab 1890 wurden hierfür auch Frauen eingestellt. "Fernsprechgehülfinnen" wurden sie offiziell genannt, im Volksmund aber nur "Frollein vom Amt". Die Bezeichnung "Klingelfee" entstammt dem gleichnamigen Lied von Robert Stolz, das er 1919 komponierte. 

Ihren Dienstsitz hatten sie in der Französischen Straße in Mitte. Nach dem Ersten Weltkrieg "boomte" es in dieser Branche, und neue, größere Räume wurden erforderlich. Der Post-Behörde waren die Baugrundstücke in Mitte zu teuer, also wich man nach Schöneberg aus. Der Botanische Garten war einige Jahre vorher vom Kleistpark nach Dahlem gezogen, so erübrigte sich das Anlegen eines "Klee-Garthens" auf dem Grundstück Winterfeldtstraße 19-23. Die Oberpostdirektion erwarb dieses Grundstück für den Bau eines neuen, modernen, repräsentativen Verwaltungsgebäudes.

Die Postarchitekten Otto Spalding und Kurt Kuhlow errichteten in den Jahren 1923-29 einen ausgedehnten Gebäudekomplex als siebengeschossige Blockrandbebauung um vier Innenhöfe. Eine monumentale Fassade aus Klinkern im expressionistischen Stil - ganz im Trend der damaligen Zeit - sprengt fast den städtebaulichen Maßstab der Winterfeldtstraße, steht aber für die Selbstdarstellung einer technischen Verwaltung, die sich ihrer gegenwärtigen, aber mehr noch ihrer zukünftigen Bedeutung bewusst war. 

In den oberen Geschossen befanden sich die Betriebssäle. Obwohl die Automatisierung des Berliner Ortsnetzes damals schon begonnen hatte, wurden täglich über 50.000 Verbindungen handvermittelt, Ferngespräche aus Berlin und der Mark Brandenburg. Vermitteln, das bedeutete: Die Mitarbeiter des Fernmeldeamtes saßen an langen Schaltschränken, fragten den Anrufer nach dem gewünschten Gesprächsteilnehmer und stöpselten das Leitungsende in den passenden Anschluss. Hunderte von Malen am Tag. 1932 wurden in den Fernsälen 1140 Frauen beschäftigt, die nur 17 männliche Kollegen hatten. Bis zu 240 Vermittlungskräfte saßen in einem Saal. 

Während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin wurden im Haus weitere Aufgaben wahrgenommen: In einer Zentrale für den Rundfunk wurde der technische Ablauf der Übertragungen aller Olympia-Reportagen von den Wettkampfstätten ins Ausland gesteuert. Drei Jahre später, im Zweiten Weltkrieg, hatte das Amt eine besondere, kriegswichtige Funktion. Die Mitarbeiter fanden bei Luftangriffen im nahegelegenen Hochbunker in der Pallasstraße Schutz, das Gebäude selbst blieb unzerstört. 1945 gehörte die technische Einrichtung zur Kriegsbeute und wurde größtenteils demontiert. Ganz allmählich wurde mit den Restbeständen der Telefonverkehr wieder aufgenommen.

Der "Drahtfunk im amerikanischen Sektor", der Vorgänger des RIAS, hatte ab 1946 hier seine Betriebsräume, bevor er 1948 ins Funkhaus Kufsteiner Straße zog. Ab 1950 ergänzte das Funkamt Berlin die Dienste des Fernamtes auf dem Gebiet des Richtfunks, der Funkmessdienste, der Rundfunk- und Fernsehübertragung. 1958 wurden beide Behörden zusammengelegt zum "Fernmeldeamt 1 Berlin". Am 1. Mai 1959 begann der vollautomatische Fernsprechdienst. Das hieß aber nicht, dass das "Frollein vom Amt" nun ganz verschwand. 

Die Nachkriegszeit war einerseits geprägt vom technischen Fortschritt, andererseits vom "Kalten Krieg". Erinnern Sie sich noch, dass es 19 Jahre lang (!) keine direkten Telefonverbindungen zwischen West- und Ostberlin gab? Die 1952 von der DDR-Postverwaltung unterbrochenen Leitungen wurden erst nach Abschluss der Grundlagenverträge 1971 nach und nach wieder in Betrieb genommen. Die ersten Telefongespräche zwischen beiden Stadthälften wurden - zwei Jahre nach der ersten Mondlandung - handvermittelt.

Marina Naujoks

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März 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis