Stadtteilmütter bei den Nachbarn
Die Stichworte begegnen uns jeden Tag in den Medien:
Fehlende Integration von Zuwandererfamilien, Entstehung von
Parallelgesellschaften, mangelhafte Deutschkenntnisse mit all den problematischen Folgen. Die
Ansätze, dem allem zu begegnen, sind vielfältig.
Im Nachbarbezirk Neukölln wird seit 2005 ein Modellprojekt für Berlin erprobt, der erste Erfolg führte jetzt zu einer Neuauflage: Im Januar startete ein weiteres Projekt mit 94 "Stadtteilmüttern", die in den neun Neuköllner Quartiersmanagementgebieten Integrationsarbeit leisten wollen. Die Idee stammt ursprünglich aus Rotterdam, wo Kiezmütter seit Jahren erfolgreiche Arbeit leisten.
Bundesweit hat z.B. die Stadt Essen ein ähnliches Konzept entwickelt.
Die Neuköllner Stadtteilmütter erhalten in einem 6-monatigen Qualifizierungskurs fachliche Grundkenntnisse in den
Bereichen Erziehung, Bildung, Sprache und Gesundheitsförderung.
Danach beginnt ihre eigentliche Arbeit. Sie besuchen Familien mit Migrationshintergrund und
geben dort ihre frisch erworbenen Kenntnisse weiter. Die Frauen bringen ideale Voraussetzungen für ihre Tätigkeit mit, sie sind Mütter oder Großmütter, haben einen türkischen oder arabischen Hintergrund und sprechen
sowohl ihre Muttersprache als auch Deutsch. Die Zielsetzung, Integrationsförderung, konnte bei dem ersten Projekt z.B. an deutlich
gestiegenen Kita-Anmeldungen und Besuchen von Deutschkursen erreicht werden.
Ein roter Schal, quasi als Logo, und eine Materialtasche mit zweisprachigen Informationen zu Sprachkursangeboten, Behördenhinweisen, Ernährungstipps usw. gehören zur Ausrüstung der Frauen. Als Koordinatoren und Ansprechpartner stehen den Stadtteilmüttern ausgebildete Fachleute wie SozialarbeiterInnen und Psychologen/innen zur Seite. Regelmäßige Treffen und
Unternehmungen wie der Besuch von themenbezogenen Filmen beispielweise aus dem
Gesundheitsbereich bieten den Frauen Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und kontinuierlicher
Weiterbildung. Aber auch zu Kultur und Geschichte werden Kenntnisse vertieft: Im letzten Jahr
begaben sich die Stadtteilmütter auf Geschichtssuche: Dabei stand ein Besuch der Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" ebenso auf dem Programm wie der
Besuch der Filme "Schindlers Liste" und "Der Pianist".
Die Kiezmütter beginnen mit ihrer Beratungstätigkeit zunächst in ihrem eigenen Umfeld, durch Mundpropaganda und Verteilung von Informationsflyern erweitert sich der Kreis der
beratungsinteressierten Familien. Durch ihren identischen ethnischen
Hintergrund und die Sprachkenntnisse genießen die Frauen hohes Vertrauen, vielfach entwickelt sich über die Beratung hinaus ein freundschaftlicher Kontakt zu den Familien. Bis Ende 2008 sollen rund 2000 Familien in 40.000 Stunden beraten werden, für jede einzelne Stadtteilmutter sind 10 Besuche mindestens einer Familie pro Monat geplant.
Die Bezahlung der Arbeit erfolgt im Rahmen von ABM oder über Honorarverträge. Träger des
Projekts sind das Bezirksamt Neukölln, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, das ARGE
Jobcenter Neukölln und das Diakonische Werk Neukölln-Oberspree.
Die 20 Stadtteilmütter des Pilotprojekts aus 2005 wurden im letzten Jahr mit dem 10.000 Euro dotierten Hauptpreis beim
Quartiersmanagement-Wettbewerb geehrt. Das Geld wurde jetzt im Februar gut investiert: In
Fahrräder, die den Stadtteilmüttern die Arbeitswege erleichtern sollen. Nun steht das nächste
Weiterbildungsprojekt auf dem Programm: ein Fahrradkurs.
Rita Maikowski
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März 2007 Stadtteilzeitung
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