Else Lasker-Schüler - ein Portrait von Sanna von Zedlitz
Hinter meinen Augen stehen Wasser, die muss ich alle weinen

Vom und mit dem Schreiben zu leben war nie ganz einfach. Doch es gibt Unterschiede. Gewiss, mich dauert etwa Franz Kafka (1883-1924). Er arbeitete tagsüber im ungeliebten Beamtenberuf und schlug sich die Nächte um die Ohren, um seine schriftstellerischen Visionen zu Papier zu bringen, und er wohnte zeit seines Lebens bei seinem Vater, unter dessen despotischem Wesen er litt. Das ist zwar bedauerlich, aber betrachten wir die Sache einmal aus dem Blick einer Dichterin seiner Generation.

Else Lasker-Schüler (1869-1949) lebte nach ihrer Heirat mit dem Arzt Bertold Lasker von 1894 bis 1933 in Berlin, davon die letzten neun Jahre in Schöneberg, nachdem sie ihr gutbürgerliches jüdisches Elternhaus in Wuppertal hinter sich gelassen hatte. Ihre Ehe wurde 1903 geschieden, und ihr Leben war künftig von Geldsorgen geprägt. Ihre Lyrik und Prosa wurde zwar gelegentlich veröffentlicht, doch ihr überschwänglicher, schwer zu deutender Stil macht ihre Werke nicht eben zum Kassenschlager: "Immer muss ich wie der Sturm will / Bin ein Meer ohne Strand / Aber seit du meine Muscheln suchst / Leuchtet mein Herz." (aus: Nur dich). 

Lasker-Schüler pflegt Freundschaft mit den bedeutendsten Köpfen der Berliner Literaturszene und lebt ihr unkonventionelles Leben gegen jede Regel des Wilhelminischen Zeitalters. Schon eine Scheidung war zu jener Zeit ein Skandal, und eine alleinerziehende Mutter, die den Vater ihres Sohnes Paul (geboren 1899) nicht nennt, war ohnehin un-möglich. Der Ehemann war also nicht einmal der Vater? Schockierend. Ein Witwenstatus hätte ihr besser zu Gesicht gestanden als ihre Kurzhaarfrisur und wehende orientalisch anmutende Kleidung. Gottfried Benn lernte sie 1912 kennen: "Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder; Hals und Arme behängt mit auffallendem unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringe an den Fingern, und da sie sich unaufhörlich die Haarsträhnen aus der Stirn strich, waren diese, man muss schon sagen: Dienstmädchenringe immer in aller Blickpunkt." Wohl-gemerkt: Wir befinden uns noch nicht in den Roaring Twenties!

1903 heiratete Else Lasker-Schüler erneut. Ihr Ehemann Herwarth Walden (1878-1941) hatte seinen bürgerlichen Namen Georg Lewin in Lasker-Schülers klangvolle Namensschöpfung eingetauscht und wurde als Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm" berühmt. In dieser und ähnlichen Publikationen veröffentlicht Else Lasker-Schüler ihre eigenwillige Dichtung. Mit dem Gedichtband "Meine Wunder" von 1911 wird die Liebe zum zentralen Thema von Lasker-Schüler. Karl Kraus nannte sie 1910 "die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland". Sie wird zur führenden Repräsentantin des Expressionismus und versucht, der unbewussten, phantastischen und irrealen Welt der Gedanken und Gefühle Worte zu verleihen: "Wie ich zum Zeichnen kam: Wahrscheinlich so: Meinen Buchstaben ging die Blüte auf - über Nacht; oder besser gesagt: über die Nacht der Hand. Man weiß eben nicht - in der Dunkelheit des Wunders."

Doch um welchen Preis? Vielleicht gibt es noch eine Verwandtschaft in der Unergründlichkeit ihrer Werke zwischen Kafka und Lasker-Schüler, doch während jener seine tiefsitzende Lebensangst in Worte fasste und in der Realität sich gerade an die Menschen klammerte, die ihm diese Angst eingeflößt hatten, wirft die Autorin aus lauter Liebe zum Leben und zur Freiheit jede materielle Sicherheit von sich. Sie hat keine Mutter im Haus, die täglich für frische Wäsche, geregelte Mahlzeiten und ein sauberes Zimmer sorgt, und selbst wenn sie verheiratet geblieben wäre, hätte ihr Mann - so fortschrittlich er auch gedacht haben mag - sicher nicht solche häuslichen Dienste für sie verrichtet. Und nun dies: 1913 trennt sie sich auch von ihrem zweiten Mann und ist fortan völlig mittellos und auf die Hilfe von Freunden angewiesen. Insbesondere der Wiener Publizist Karl Kraus steht ihr zur Seite. Sie schreibt weiter, das ist ihre Lebensaufgabe, obwohl ihre Einkünfte verschwindend gering bleiben. "Sie schläft auf Parkbänken, in Kinosälen und schmuddeligen Pensionen; in den Zwanziger Jahren hat sie immerhin ein Dauerzimmer im Hotel Koschel in der Motzstraße." (aus: Birgit Haustedt: Die Wilden Jahre in Berlin, 2002). Die Nummer 7 trägt heute eine Gedenktafel.

Schauen wir tief in uns: Sind wir nicht insgeheim der Meinung, sie müsste mehr an ihr Kind denken, das sich laut Tilla Durieux um mitternächtliche Zeit im Kaffeehaus heimlich an der Kuchentheke bediente, und sich "eine ordentliche Arbeit" suchen, oder wenigstens einen Mann? Und mal ehrlich: Würden wir ebenso über einen Mann denken, oder wären wir im Falle eines Schriftstellers damit zufrieden, ihn seine Gattin samt Kindern ziehen zu lassen, damit er sich weiterhin ungestört der Dichtung widmen kann?

1927 stirbt Lasker-Schülers Sohn Paul, und die exzentrische Künstlerin zieht sich mehr und mehr auf sich selbst zurück. 1932 erhält sie noch den Kleistpreis, doch nach tätlichen Angriffen von Nationalsozialisten emigriert sie in die Schweiz. Von dort aus besucht sie mehrmals Palästina; 1939 wird ihr die Wiedereinreise nach Zürich verweigert, und Lasker-Schüler bleibt bis zu ihrem Tode 1945 in Palästina.

"Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich". So beschrieb Else Lasker-Schüler in der von Kurt Pintus herausgegebenen Lyrikanthologie "Menschheitsdämmerung" als Fünfzigjährige ihr Leben.

Biographien: z.B. als rororo Monographie oder von Sigrid Bauschinger, Göttingen 2004.
www.else-lasker-schueler-gesellschaft.de
Sanna v. Zedlitz

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März 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis