Rundum die Apostel-Paulus-Kirche

Weihnachten im Kiez

Berlin, im norddeutschen Raum liegend, ist protestantisch geprägt. Daraus folgt, dass der Weihnachtsmann und nicht das Christkind oder Andere die Geschenke zum Fest bringen. Nun ist die Diskussion über seine Existenz ähnlich schwierig wie zum Thema Ufos. Die Legende besagt, dass er vom Nordpol kommt. Doch wo wird bei uns seine zentrale Lager- und Verteilerstelle sein? Augen-zwinkernd möchte ich hierzu verschiedene Theorien entwickeln.

Ein Blick auf den Stadtplan lässt zwischen Kaiser-Wilhelm-Platz, Akazienstraße und Grunewaldstraße ein Areal erkennen, wo keine strenge Planung zugrunde gelegen hat: Die Gleditschstraße endet als kleines Gässchen, die Vorbergstraße scheint sich - wie ein Gebirgsfluss - den Weg nachträglich gebahnt zu haben, denn die stuckgeschmückte Brandwand am Gebäude Vorberg-/Ecke Akazienstraße ruft bei jedem Betrachter Verwunderung aus. Wie kam es zu dieser Wegeführung?
An der Hauptstraße war einst das "Maison de Santé" ansässig, die erste seriöse Nervenklinik im alten Preußen. Gegründet 1862 von dem jungen Psychiater Dr. Eduard Levinstein, war das auf einem Erbteil seiner Frau erbaute Haus jahrzehntelang Heilstätte für Menschen, die vorher einfach weggesperrt wurden. Heute befindet sich in dem Gebäude ein türkischer Supermarkt.

Das Klinikgrundstück war sehr tief: Die Belziger Straße war noch in den Zwanziger Jahren an dieser Stelle unterbrochen, die Gleditschstraße führte zum rückwärtigen Eingang auf das Gelände und die Vorbergstraße rahmte das Ganze ein. In der Belziger Straße steht noch der Turm des Wäschereigebäudes, das die Klinik versorgte. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Kindertagesstätte. Kommt der Weihnachtsmann nicht speziell zu den Kindern?

Essen und Trinken aus der Region:
Weihnachten ist die Zeit des guten Essens. Wie heißt es immer im Fernsehen: Kaufen Sie nur beim Fleischer Ihres Vertrauens und Produkte der Region!!! Was wäre für uns "regionaltypisch"? Auf einer ca. hundert Jahre alten Speisekarte finden wir als 2. Gang zum Menü am 1. Feiertag
"Teltower Rübchen mit Kasseler Rippenspeer".
Nach dem Fall der Mauer ist Teltow wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt, die kleinen Rübchen haben Sie sicherlich schon gesehen oder sogar probiert. Aber wussten Sie, dass "Kasseler Braten" nicht nach der Stadt Kassel, sondern nach einem seinerzeit renommierten Fleischermeister Cassel an (unserer) Potsdamer Straße benannt wurde?

Zweiter Tipp: Oben wurde schon ein türkischer Supermarkt erwähnt. Haben Sie schon einmal in einem solchen eingekauft? Oder waren Sie mal mittwochs oder samstags auf dem Wochenmarkt an der Crellestraße / Großgörschenstraße? Sie bekommen alles - außer Kasseler/Schweinefleisch! Für die Liebhaber obst- und gemüsehaltiger Kost ein Muss!
Außerdem ist es ja nicht verkehrt, an christlichen Feiertagen nicht nur die eigenen Bräuche zu pflegen, sondern das Eine oder Andere aus anderen Kulturkreisen zu integrieren. Die türkische Art, Tee zu trinken, passt optimal zu Adventsabenden. Und schließlich lebte der Bischof von Myra im 4. Jahrhundert n. Chr. - besser bekannt als Heiliger Nikolaus - in Kleinasien, dort, wo sich heute das Staatsgebiet der Türkei erstreckt. Bestimmt stand damals Fisch auf der Speisekarte...

Geschenke:
In der guten alten Akazienstraße funktioniert noch der Einzelhandel. "SOS"-Geschenke für den Herrn (Schlips-Oberhemd-Socke) können in individueller Ausprägung zusammengestellt werden, so gibt es z. B. ein Fachgeschäft ausschließlich für Strümpfe. (Meine Füße bringen mich ohne ausdrücklichen "Hirnbefehl" dorthin, so wohl fühlen sie sich in der dort erstandenen Bekleidung). Wer unter "SOS" Süßigkeiten, Originelles, Spirituosen versteht, wird in den benachbarten Geschäften fündig.

Schönheit:
Wie schwierig es wäre, den Bart des Weihnachtsmannes zu pflegen, erläuterte mir Herr Bassam, der in der Vorbergstraße 9 seinen neuen Salon "Contur" vor kurzem eröffnet hat: Die Rasierpinsel müssen nach jedem Gebrauch aufwendig sterilisiert werden! Wer als Kunde lieber mit Naturprodukten gestylt werden will, ist dort aber goldrichtig.

Ausgehen:
Eine lange Tradition haben die Gospelkonzerte in der Apostel-Paulus-Kirche. Auch in diesem Jahr finden an fast allen Feiertagen Konzerte statt, Kennern sind Donna Brown und "The Golden Gospel Pearls" längst bekannt.

Die Kirche selbst ist schon sehenswert: Ein richtiges wilhelminisches Gebäude - errichtet zwischen 1892-94 - aus der Feder von Franz Heinrich Schwechten, der nicht nur hier gewirkt hat, sondern sowohl die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche entworfen hat, als auch Bauvorhaben zu ganz profanen Zwecken, wie die (ehemalige) Schultheiß-Brauerei am Prenzlauer Berg, inzwischen besser bekannt als "Kulturbrauerei". Allen gemeinsam ist ein burgenähnlicher Charakter. Die Apostel-Paulus-Kirche ist den vielen Bauten der märkischen Backsteingotik nachempfunden, im Gegensatz zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, die eher rheinisch-romanische Formen aufweist.

Liebe Leser, meinen Sie nicht auch, dass der Weihnachtsmann hier optimale Arbeitsbedingungen vorfindet? In welches Restaurant (Klartext: Kneipe!) er nach getaner Arbeit einkehren wird, überlasse ich Ihrer Fantasie und Ihrem Forschungsgeist, Auswahlmöglichkeiten gibt es genug. Überregional bekannt ist inzwischen das Café Bilderbuch in der Akazienstraße 28, das den Gästen die verschiedensten kulturellen Veranstaltungen bietet.

Ein frohes Fest und einen gelungenen Jahreswechsel wünscht allen Lesern
Marina Naujoks

.
Dezember 2008  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis