Friedenau vor 60 Jahren

Die Luftbrücke

Juni 1948 bis Mai 1949 - die Zeit der Berliner Blockade und der Luftbrücke. Warum erinnere ich mich an so wenige Ereignisse aus dieser Zeit? Vom Kriegsende mit den Zerstörungen in Friedenau, den ersten Russen, der Ankunft der Amerikaner im Titania-Palast habe ich noch viel mehr Bilder im Kopf, das war etwas Endgültiges und gleichzeitig ein Neubeginn mit vielen Hoffnungen. 1948 war manches schon wieder in festen Bahnen, anderes noch ganz im Ungewissen. Ich hatte die Schule hingeschmissen, weil ich nicht wusste, was ich wollte und hing in der Luft. Die beruflichen Aussichten für Jugendliche waren in dieser Zeit genauso schlecht wie in der Gegenwart, nur dass man, im Gegensatz zu heute, dachte, es werde schon werden. Und es wurde dann ja auch. Ich hatte also meine eigenen Probleme. Der Gedanke, dass die auch mit den Problemen West-Berlins zusammenhängen könnten, kam mir nicht. Viele Leute sahen das anders und verließen die Stadt aus Angst, West-Berlin könnte "von den Russen einkassiert werden", wie man sagte. Wir bauten auf die zündenden Reden unseres Bürgermeisters Ernst Reuter ("...schaut auf diese Stadt!") und blieben. Wo hätten wir auch hingehen können? Heute wissen wir, dass diese Angst gar nicht so abwegig war und der Status West-Berlins auf Messers Schneide gestanden hatte.

In dieser Situation also brauste alle 5 Minuten ein Luftbrücken-Flugzeug dicht über unser Haus in der Rheinstraße, die neuen Fensterscheiben, die lange Zeit durch Pappe und Drahtglas ersetzt gewesen waren, vibrierten, unsere Nerven ebenfalls. So mancher Dachziegel, der den Krieg überstanden hatte, löste sich, halbe Dächer wurden abgedeckt. Eine abstürzende Maschine traf ein Haus in der Handjerystraße, das Getöse erinnerte die Friedenauer noch einmal an die Schrecken des Bombenkrieges.
Die Flugzeuge brachten alles, was die West-Berliner zum Überleben benötigten, vieles davon hatten wir noch nie gesehen: Kartoffelbrei in Pulverform, Büchsenfleisch und vor allem Maismehl und Maisgries, quittegelb. Monatelang aßen wir Maismehlsuppen, Maisgriesknödel, Maispfannkuchen mit Trockenei. Noch heute drücke ich mich beim Mexikaner um Maisgerichte... Einer meiner Freunde half auf dem Flughafen Tempelhof beim Ausladen der Maschinen und erzählte später von den Kontrollen, mit denen der Schmuggel unterbunden werden sollte und den Tricks, mit denen sie umgangen wurden. Aber die Fallschirmchen mit Schokolade, die den Flugzeugen den Namen "Rosinenbomber" einbrachten, sah man in Friedenau nicht, da musste man sich wohl schon nach Tempelhof begeben.

Die Versorgungslage in Berlin war auch vor der Blockade nicht gerade üppig gewesen, es gab ja noch immer Lebensmittelkarten, und das Angebot war begrenzt. Auch Stromsperren hatten noch nicht der Vergangenheit angehört. Die eigentliche Belastung bestand neben dem ständigen Flugzeuglärm in der politischen Unsicherheit. Als sich mit dem Ende von Blockade und Luftbrücke im Mai 1949 Ost- und West-Berlin voneinander abgegrenzt hatten, brachte das für die West-Berliner Klarheit und eine stärkere Anbindung an Westdeutschland. Wieweit diese Abgrenzung einmal führen würde, war damals noch nicht abzusehen und wäre auch nicht für möglich gehalten worden: eine Mauer zwischen West- und Ost-Berlin? Undenkbar!

Sigrid Wiegand

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