Ernst Karbe - ein Portrait von Sanna von Zedlitz
Der Impulsgeber

"Wieso sagst du Herr Karbe? Das ist doch der Bilderbär!" wundert sich meine Tochter. Sie weiß natürlich nicht, dass es einen besonderen Anlass gibt, sich mit ihm zu verabreden. Ich wollte schon immer gern mehr über diesen Mann erfahren, der in Friedenau jeden zu kennen scheint und den jeder kennt, eine menschliche Landmarke sozusagen, und die Gelegenheit ist günstig, denn Ernst Karbe, weithin als Bilderbär bekannt, hat jüngst die Bürgermedaille erhalten. Wer also verbirgt sich hinter dem Bilderbär, wer wird auf so besondere Weise vom Bezirk geehrt?

Wer davon erfährt, nickt und findet, Herr Karbe habe diese Ehrung verdient. Ich forsche in mir selbst. "Fragen Sie mal den Bilderbär!" Das habe ich schon oft gesagt. Was macht ihn so besonders? Es ist wohl diese ganz spezielle Art, über alles Bescheid zu wissen, was in unserem Kiez so vorgeht, und seine praktische Ader, dieses Wissen anderen zur Verfügung zu stellen. Wie wird man so?

Er würde wohl sagen, da gebe es nichts, was sich verberge, er sei eben der Bilderbär, und so heiße er wegen seines Fotoladens einerseits und wegen der Plüschbären, die er täglich auf die parkenden Fahrzeuge ringsum verteilt. Wir sitzen im Geschäft auf Barhockern und unterhalten uns. Gelegentlich kommt eine Kundin herein - noch bevor sie den Mund öffnen kann, hält Herr Karbe ihre frisch entwickelten Fotos schon in der Hand.

Schon sein Vater stammte aus Friedenau; er selbst wurde in Schlesien geboren. Nach der Flucht lebte die Familie acht Jahre in Thüringen; dem Kind Ernst prägte sich ein, was es heißt, ein Flüchtling zu sein, zwar geduldet, aber nicht dazugehörig. Nach der Übersiedlung in den Westen kam die Familie vorerst bei Verwandten sowie in kirchlichen Einrichtungen unter - auch hier nicht gerade willkommen. Dieses Gefühl verließ ihn erst, als sich die Familie im Odenwald niederließ; da war Ernst Karbe schon 13.

Doch die Überzeugung des Vaters, der zunächst als Erzieher arbeitete, aktiv die junge Demokratie schützen zu wollen, führte zu einer weiteren Ausgrenzung des Jungen. Offizierssohn - das war damals in Hessen politisch nicht erwünscht. Doch Ernst Karbe hatte ja schon Übung darin, mit Vorurteilen zurechtzukommen.
Nach der Schule begann er eine Lehre als Fotokaufmann bei Karstadt - aha, sage ich mir, daher also der Laden! Doch zunächst machte er Karriere innerhalb des Konzerns und stieg nach einigen Stationen kreuz und quer durch die Republik zum Einkaufs- und Abteilungsleiter Foto des damals ersten Hauses in der Schlossstraße auf: "Das war damals noch ein echtes Vollsortimentkaufhaus, wo man von der Stecknadel bis zur Waschmachine wirklich jeden Artikel bekommen konnte; heute geht der Trend ja zur Auslagerung spezieller Sparten", meint Herr Karbe. Schon damals hatte er ein besonderes Interesse am Gemeinwohl und engagierte sich im Betriebsrat. Inzwischen war er verheiratet und hatte drei Töchter. Als sie heranwuchsen und ihre eigene Sicht auf die Welt entwickelten, ließ sich Herr Karbe, wie schon sein Vater vor ihm, wiederum von seinen Idealen leiten. Er schloss sich der Friedensbewegung an und begann daran zu zweifeln, dass eine Karriere alles im Leben sein sollte. Der Einzelhandel wandelte sich; die hierarchischen Strukturen im Hause wurden immer mehr ökonomisiert, und es gab immer weniger Beförderungsmöglichkeiten für nachkommende Mitarbeiter - "die Durchlässigkeit fehlt heute, deshalb bricht der Mittelstand mehr und mehr weg", sagt Karbe - und da beschloss er, ein anderes Leben anzufangen. Seine Töchter waren flügge geworden und hatten ihm als Abschiedsgeschenk ihren Lebensmut mitgegeben. Also eröffnete er vor nunmehr fast 21 Jahren seinen schon fast zur Institution gewordenen Laden an der Hedwig-, Ecke Fregestraße.

An dieser Stelle wechselt Ernst Karbe bezeichnenderweise vom "Ich" in seiner Erzählung zum "Wir". Es ist nicht festzustellen, ob er damit sich selbst und seine Frau meint oder - und das scheint mir fast wahrscheinlich - sich und dazu alle Friedenauer, in wechselnder Zusammensetzung.
"Ich halte die Augen auf", meint er. Und er hält sein Herz weit offen. Offenheit für jeden Menschen ist sein Anliegen. Wo könnte etwas getan werden? Wo ist Eingreifen nötig? Wer wie was, von wem? Ernst Karbe gibt Impulse zu Geldsammlung, Spendenaktionen, er regt an und führt Menschen zusammen, um sich dann aber selbst zurückzuziehen. Und hält weiter die Augen offen.

Kurze Unterbrechung, ein Mann öffnet die Tür, sein ergrauter Hund springt ihm voraus in den Laden. Der Mann strahlt. "Er ist wieder da!" sagt er. "Er war al-leine S-Bahn gefahren!"
"Na so ein Glück," sagte Herr Karbe ernst. "Sie hatten sich ja schon Sorgen gemacht."
"Ja, aber man hat ihn dort gefunden und mich dann angerufen," seufzt der Mann zufrieden und betrachtet liebevoll seinen Hund. "Er ist eben schon ziemlich verwirrt".
Er grüßt freundlich und geht wieder, sein Hund folgt.

Ernst Karbe nimmt Anteil. Er bemerkt es, wenn plötzlich nicht mehr drei, sondern nur noch zwei alte Damen morgens vorbeispazieren. Jemand hat schon seit Tagen nicht mehr die Wohnung verlassen? Es fehlen Brötchen bei der Obdachlosenspeisung? Das Hospiz braucht Unterstützung? Er schaltet nicht die Polizei, sondern Streetworker ein, wenn er bemerkt, dass in der Nähe gedealt wird. Er hilft bei behördlichem Briefverkehr, kennt Beratungsstellen, Öffnungszeiten und Ansprechpartner. Er ist ein Netzwerker, der seine Kontakte pflegt, um sie in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Was seine Eltern verdrängten oder auf eine ihm nicht zugängliche Weise verarbeiteten, versucht er für sich zu klären und seine Konsequenzen daraus zu ziehen. Ein bekennender Christ zu sein, gehört dazu. Sich nicht verstecken müssen - ein Privileg, das ist ihm durchaus bewusst. Dazu die tief verwurzelte Erinnerung daran, was es heißt, außen zu stehen. Er ist nicht von ungefähr so wie er ist. Und dann verabschiedet mich Herr Karbe und lässt seinen Blick wieder über Friedenau schweifen.
Wir gratulieren zur Bürgermedaille!

Sanna v. Zedlitz

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Mai 2008  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis