Mit dem Gründerzeitbau am Viktoria-Luise-Platz vereint Olga Gundau nicht nur das Alter. Bereits seit 60 Jahren wohnt sie in derselben Wohnung und feierte dort am 15. April ihren 105. Geburtstag. An Beider glanzvolle Zeiten erinnert in den Räumen der imposante, reich verzierte Kachelofen, den die Schöneberger Jubilarin ganz besonders schätzt.
Vielleicht ist auch er ein Grund, warum über einen Umzug in ein Seniorenheim mit ihr nie zu reden war. Und bis zu ihrem Sturz vor drei Jahren genoss sie ja auch ein noch relativ eigenständiges und bewegliches Leben, der wöchentliche Friseurbesuch, Ausflüge in Cafés und zu Freunden gehörten dazu. Doch von der Verletzung erholte sie sich trotz mit zäher Energie durchgeführter Übungen nicht mehr. Seitdem ist sie bettlägerig und wird vier Mal täglich von der Diakoniestation Schöneberg umsorgt. Bemerkenswert ist die heitere Gelassenheit, der Charme, mit dem die zierliche alte Dame Besuchern begegnet.

Eine große Erzählerin war sie nie, von den Erlebnissen ihres Lebens, das zwei Weltkriege überstand, gibt sie kaum etwas preis. Bekannt ist, dass in den 50er Jahren ihr Ehemann in der Wohnung ein Reproduktionsgeschäft (das wäre heute ein Copy-Shop) betrieb, später wurde aus dem kleinen Unternehmen ein Fotogeschäft in der Martin-Luther-Straße. Ihr Mann verstarb Anfang der 80er. Selbst Leonie Raffenberg, die die alte Dame bereits seit 25 Jahren betreut und darüber auch zu einer Freundin geworden ist, kennt nur wenige Details aus der früheren Zeit.

Geboren ist Olga Gundau in Köpenick, zog aber schon als Kind mit ihren Eltern nach Schöneberg um. Ihre Ausbildung zur Modellschneiderin war auch ihre Berufung: Selbst immer auf ein perfektes Äußeres bedacht, beriet sie ihre Kundinnen schon damals "typgerecht" und gewann dadurch auch viele Freundinnen. Eine Malerfreundin, deren Bilder heute noch in der Wohnung hängen, bemalte auch Stoffe für sie, so entstanden individuelle Modelle, die durch klassischen Schnitt, kombiniert mit den künstlerisch veredelten Stoffen, der Trägerin zu einem eleganten Auftritt verhalfen. Wenn der Stoff nicht reichte, setzte Olga Gundau mit viel Phantasie "Flicken" aus anderen Stoffen an, das wirkte, geschickt platziert, wie extravagante Applikationen. Noch mit über 80 Jahren nähte sie für Kundinnen. Für ihren eigenen 100sten Geburtstag fertigte sie für sich selbst ein Ensemble: Rock, Top und Jäckchen, in dem sie sich dann stolz zu ihrer Geburtstagsfeier bei Freunden präsentierte, wie immer damenhaft gestylt, mit Make up und lackierten Fingernägeln. Sie weigert sich auch bis heute, eine Brille zu tragen, für ihre geliebten Kreuzworträtsel reichte ihr immer eine Lupe.

Ihr Rezept für ein langes Leben? Da hat sie keins zu bieten. Sport war für sie kein Thema, allerdings hat sie auch nicht geraucht, nur selten Alkohol getrunken und immer auf ihre Figur geachtet. Ihr freundlicher und zufriedener Blick auf das Leben hat sicherlich auch eine große Rolle gespielt.

Zum 105ten Geburtstag ist die Schar der Gratulanten und Freunde naturgemäß überschaubar. Umso mehr Freude machte der alten Dame die Aufwartung ihres langjährigen treuen Geburtstagsgastes, Herrn Neuwald vom Besuchsdienst des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg, selber bereits pensioniert, der, wie bereits auch schon in den letzten 25 Jahren, einen Blumenstrauß und Glückwünsche vom Bürgermeister überbrachte. Und - er hatte noch einen "alten Freund" mitgebracht, seinen kleinen Hund, dem die Jubilarin ebenfalls seit Jahren sehr zugetan ist.

Rita Maikowski

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Mai 2008  Stadtteilzeitung < Inhaltsverzeichnis