1908 gegründet von Alice Salomon in Schöneberg

100-jähriges Jubiläum der Sozialen Frauenschule

Die Alice-Salomon-Hochschule feiert im Oktober ihr 100-jähriges Bestehen als Ausbildungsstätte der Sozialen Arbeit. Manche werden sich noch erinnern: Auf dem Gelände des Pestalozzi-Fröbel-Hauses (PFH) zwischen der Karl-Schrader- und Goltzstraße in Schöneberg hatte die ‚Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik' (damals FHSS) jahrzehntelang ihr Domizil, bis sie 1998 in ein eigens für sie errichtetes Gebäude nach Hellersdorf zog. Seither ist sie nach ihrer Gründerin in ‚Alice-Salomon-Fachhochschule' (ASFH) benannt.

Am früheren Standort erinnern noch zwei Einrichtungen an Alice Salomon: Die kleine städtische Grünanlage an der Karl-Schrader- im Übergang zur Schwäbischen Straße, dort, wo die Rosenheimer Straße mündet, wurde zur Zeit des Wegzugs der Hochschule in ‚Alice-Salomon-Park' getauft; Fußgänger und Radfahrer queren den Park gern, um zum Barbarossaplatz abzukürzen.
In zweifacher Hinsicht historisch, weil noch an der Ursprungsstätte des Wirkens der Gründerin auf dem Gelände des PFH, ist das ‚Archiv und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Frauenarbeit', kurz: ‚Alice-Salomon-Archiv', das - gemeinsam mit dem Archiv des PFH - an die Entstehung der sozialpädagogischen Berufe erinnert. Als die Hochschule Schöneberg verließ, beschloss sie, den historischen Teil des Verwaltungsmagazins mit den Originaldokumenten von Alice Salomon am alten Standort zu belassen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Selbst das Gebäude, in dem sich heute noch das Archiv befindet, war nach den Vorstellungen der Gründerin errichtet worden: 1908 hatte Alice Salomon eine der ersten sozialen Frauenschulen Deutschlands ins Leben gerufen. Als die vom PFH zur Verfügung gestellten Räume bald nicht mehr ausreichten, gestattete das PFH der promovierten Nationalökonomin die Nutzung eines Bauplatzes im Hof.

Wer war Alice Salomon?
Im Jahr 1872 geboren, wuchs Alice Salomon in gutbürgerlichen Verhältnissen auf in der Epoche Bismarcks und des ausgehenden Kaiserreichs. Nach der Schulzeit wollte sie Lehrerin werden, was ihr die Familie jedoch verwehrte. Seit den 1890ern beteiligte sie sich an der Gründung von Mädchen- und Frauengruppen für soziale Arbeit, wurde zur Vorsitzenden gewählt und war von 1900 bis 1920 im Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine. Mit 30 Jahren begann sie ihre Studien der Volkswirtschaft und Philosophie an der Berliner Universität; die sie mit der Promotion 1906 beendete.
1908 eröffnete sie die Soziale Frauenschule in Schöneberg, deren Präsidentin sie bis 1925 war, dem Jahr, in dem sie die ‚Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit' schuf. Die Akademie war die erste akademische sozialpädagogische Aus- und Weiterbildungseinrichtung mit eigener Forschung; ein großes Projekt war beispielsweise bis 1933 die Familienforschung. In der Akademie hielten Wissenschaftler auch von internationalem Ruf Gast-vorträge; aus Platzgründen fanden diese im Rathaus oder in der heutigen Volkshochschule Schöneberg statt: Bis zu 1000 Zuhörer kamen, wenn C. G. Jung, Ina Seidel oder sogar Albert Einstein sprachen.
Wie Alice Salomon in ihrer Autobiografie beschreibt, sah sie zwei Lebensaufgaben: Die Soziale Arbeit zu professionalisieren und die deutsche und internationale Frauenbewegung voranbringen; schon 1909 nahm sie am Weltkongress des Internationalen Frauenbundes in Kanada teil und wurde ehrenamtliche Schriftführerin. Sie war Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende der Internationalen Assoziation der Schulen für Soziale Arbeit (IASSW).
Das Wirken Alice Salomons ist vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse des letzten Jahrhunderts um so beeindruckender: Nach dem ersten Weltkrieg gab es nur 14 Jahre Demokratie, 1919-1924 beschreibt sie als ‚Jahre des Chaos', 1929 kamen wirtschaftliche Depression und der Zusammenbruch.
Noch 1932, anlässlich ihres 60. Geburtstags, verlieh die Berliner Universität Frau Salomon die Ehrendoktorwürde im Fach Medizin und das preußische Staatsministerium ehrte sie und die Soziale Frauenschule durch die Namensgebung: ‚Alice-Salomon-Schule'. Bereits ein Jahr später, 1933, musste sie ihre Einrichtung schließen, um einer Gleichschaltung zuvorzukommen. Sie verlor alle öffentlichen Ämter, arbeitete weiter ehrenamtlich in einem Hilfskomitee für jüdische Emigranten, 1937 wurde sie nach einem Verhör durch die Gestapo ausgewiesen. Sie emigrierte im Alter von 65 Jahren nach New York, wo sie in äußerst bescheidenen Verhältnissen ihren Lebensunterhalt durch Vorträge verdiente; hier schrieb sie auch ihre Lebenserinnerungen. 1939 noch wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1944 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin. Sie starb am 30. August 1948 in New York.

Durch die Integration der Forschung, ihre internationalen Verbindungen und ihr Engagement in der sozialen Frauenbewegung in Deutschland leistete Alice Salomon Pionierarbeit für die soziale Berufsarbeit und eröffnete den Frauen neue gesellschaftliche Räume.

Wer mehr über die Persönlichkeit Alice Salomons und ihr Wirken erfahren möchte, dem sei ein Besuch im Alice-Salomon-Archiv empfohlen: Anhand der Dokumente, der Akten und der Fotos über die Person und die Einrichtung Alice Salomons werden die damalige Zeit und der geschichtliche Kontext lebendig.

Zum Alice-Salomon-Archiv:
Ariane Feustel, Historikerin und Leiterin des Archivs, hat das Archiv seit dem Jahr 2000 aufgebaut und aktualisiert. Seit 1990 forscht sie zur Geschichte des Hauses, ihrer Gründerin und der Schülerinnen, vor allem in der Zeit nach 1933.
Kontakt zum Archiv:
Frau Ariane Feustel,
Tel.: 21730-277, Mo., Mi., Do.
E-Mail: archiv@asfh-berlin.de.
Mehr Infos unter: www.alice-salomon-archiv.de
Mehr zum Programm der 100-Jahr-Feier auf der Homepage der Alice-Salomon-Hochschule: www.asfh-berlin.de.

Unter anderem wird - im internationalen Gedenken Alice Salomons - der Alice-Salomon-Award verliehen, dieses Jahr an die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Frau Barbara Lochbihler.
Am 23.10. wird anlässlich der 100-Jahr-Feier ein internationales Colloquium mit geladenen Gästen aus den USA, England, Israel und der Schweiz, darunter Familien-angehörige Alice Salomons stattfinden. Bei Interesse sind Anmeldungen zur Teilnahme möglich.

Literatur zum Selbststudium:
Die Autobiografie Alice Salomons, verfasst im New Yorker Exil (Engl. Originaltitel: Character is destiny): Charakter ist Schicksal: Lebenserinnerungen. Hg.: Rüdiger Baron, Rolf Landwehr; Beltz Verlag 1984

Zum Jubiläum im Oktober erscheint die erweiterte Neuauflage: ‚Lebenserinnerungen. Jugendjahre - Sozialarbeit - Frauenbewegung - Exil (vorläufiger Titel); Hg.: ASFH Berlin, Brandes und Apsel Vlg. 2008

‚alice' - Magazin der ASFH, Nr. 16/2008: 100 Jahre Alice Salomon Hochschule, E-Mail an: pressestelle@asfh-berlin.de.

Elke Weisgerber

Fotos: oben: Schülerinnen auf dem Dachgarten der Sozialen Frauenschule in Berlin Schöneberg in den 1920er Jahren
unten: Alice Salomon auf dem Dachgarten der Sozialen Frauenschule in Berlin Schöneberg, ca. 1915. Alice Salomon Archiv der ASFH Berlin

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Oktober 2008  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis