Der Großbelastungskörper

Zylindrischer Klotz an der Kolonnenbrücke. Das Bauwerk „T“. Foto: Thomas Protz

Fast rätselhafter als Stonehenge

Groß- oder Schwerbelastungskörper, so wird der zylindrische Betonklotz an der Kolonnenbrücke bezeichnet. Was, Sie haben ihn noch nie bemerkt? Dann sehen Sie mal beim Passieren der Brücke in Richtung General-Pape-Straße oder bei einer Fahrt mit der „S 2“ zum Potsdamer Platz nach dem Bahnhof Südkreuz  nach rechts oben.

„Welthauptstadt Germania“ und das Bauwerk „T“
Vor siebzig Jahren hatte die Planung für die Neugestaltung Berlins als Welthauptstadt „Germania“, die hauptsächlich vom Generalbauinspektor (GBI) für die Reichshauptstadt Berlin, Albert Speer, und Adolf Hitler selbst durchgeführt wurde, ihren Höhepunkt erreicht: Die Festlegung einer Nord-Süd-Achse war längst beschlossene Sache, mit begehbaren Modellen ging man ins Detail. Zurzeit ist die Planung einschließlich der Modelle in der Ausstellung „Mythos Germania“ zu sehen, veranstaltet von „Berliner Unterwelten e. V.“

Im Süden sollte die Achse ihren vorläufigen Abschluss in Schöneberg finden. Ältere Bewohner erinnern sich noch an die vorbereitenden Abrissarbeiten. Dass der geplante Südbahnhof (Bombastisch! Mit Kanonen geschmückt!) ungefähr an der Stelle errichtet werden sollte, wo sich heute unser Bahnhof Südkreuz befindet, sei am Rande erwähnt. Ein Bauwerk jedoch sollte, kurz vor ihrem Ende, den Höhepunkt der Achse bilden: Der Triumphbogen! Das gewaltige Bauwerk, gedacht als Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkrieges, sollte 117 m hoch werden und ähnlich aussehen wie sein Pariser Vorbild, der Arc de Triomphe, den Napoleon errichten ließ und der „nur“ 50 m hoch ist. Hitler freute sich zu seinem 50. Geburtstag über ein 4 m hohes, begehbares Modell des Bogens, zu dem er selbst (!) schon um 1925 herum (!) die ersten Entwürfe skizziert hatte.

Technisch-wissenschaftliche Untersuchung des Baugrundes:
Dass die Tragfähigkeit des Baugrundes ein nicht zu vernachlässigendes Thema beim Planungsprozess ist, haben die jüngsten Ereignisse in Köln auf schreckliche Art und Weise wieder in Erinnerung gerufen.

Und hier sollte nun eine Planung umgesetzt werden, bei der bisher nie Gebautes verwirklicht werden sollte. Eine genaue Untersuchung des Baugrundes wurde verlangt. Von unerforschten Mergelschichten ist die Rede. Na, der Berliner Boden ist immer für eine Überraschung gut: Seit Schinkels Zeiten und zuletzt bei den Regierungsbauten wurde über „unverhofft“ auftretendes und eindringendes Grundwasser rechts und links der Spree geklagt.

Die Degebo (Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik), 1928 gegründet, wurde in die Arbeiten eingebunden und sollte die Bodenverhältnisse erforschen. Unter ihrer Regie wurden im Bereich Teufelsberg und vor dem Reichstag durch Grabungen und Bohrungen Proben des Baugrunds entnommen.  Aber das größte Untersuchungsfeld wurde zur Vorbereitung für die Errichtung des Triumphbogens angelegt.

Der Bau des Schwerbelastungskörpers
Fa. Dyckerhoff & Widmann wurde 1941 beauftragt, für rund 400.000 Reichsmark einen „Großbelastungskörper“ herzustellen, französische Zwangsarbeiter mussten die Ausführung übernehmen. Es war eine Versuchsanordnung wie für Goliath im ersten Semester Geologie:  Ein gewaltiger Betonzylinder sollte den märkischen Sand mal ordentlich pressen. Die sichtbare Höhe beträgt 14-15, der Durchmesser 21 Meter.

Doch eigentlich ist es kein Zylinder, sondern mehr ein überdimensionierter Sektkorken. Die genannten Maße betreffen nur den Kopf des Gebildes, darunter geht es 18 Meter tief mit einem Durchmesser von 11 Metern in die groben Schichten der Teltow-Hochebene. Da frage ich mich doch: War so ein Realversuch war beim damaligen Stand von Wissenschaft und Technik unbedingt nötig?  Die Gründung eines 117 Meter hohen Bauwerks ist schwierig, aber schließlich standen zu jener Zeit schon einige Hochhäuser. Oder war die ganze Aktion eine subtile Methode der am Bau Beteiligten, den Größenwahn zu stoppen oder zumindest zu verzögern?

Und wenn es doch nötig war: Warum steht der Schwerbelastungskörper nicht im Bereich der geplanten „Halle des Volkes“? Die Halle hätte in ihrer Struktur nicht wesentlich verändert werden können und sollte den direkten Bezug zum Reichstag haben, während man sich bei einem Triumphbogen auch eine materialmäßig abgespeckte und damit leichtere  Version hätte vorstellen könnte. Hinzu kommt, dass der Standort des geplanten Triumphbogens keinerlei Bezug zur vorhandenen Stadtstruktur hatte. Ungewöhnlich in jenen Zeiten, als man für ideologische Begründungen alle möglichen Mythen und Überlieferungen im wahrsten Sinne des Wortes ausgegraben hatte...

12.650 Tonnen wiegt der Großbelastungskörper, so ein „Korken“ springt nicht mehr von alleine weg. Sprengen ging auch nicht nach dem Krieg, schon gar nicht  wegen der  benachbarten Wohngebäuden. 1948 wurde das Experiment mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass die vorhandene Setzung viermal so hoch wie die zulässige war.

Nutzung bis heute:
Für Forschungszwecke wurde er noch bis in die 1970er Jahre genutzt. Seit 1995 genießt der Koloss Denkmalschutz und soll im Rahmen des neueröffneten Geschichtsparcours als anfassbares Relikt an die Planungen im Dritten Reich erinnern. Meines Erachtens ist dies zu begrüßen, denn hier wird deutlich, was Bauen in einer Diktatur -auch wenn sie weniger  brutal ausgeformt gewesen wäre als damals- bedeutet: Ein Städtebau, in dem das Individuum nichts, die „Massen“ (=als Synonym für viel Menschen!) alles bedeuten.

Zurzeit  sind die Restaurierungsarbeiten am Großbelastungskörper, die im vergangenen Jahr durchgeführt wurden, abgeschlossen. Auf dem Grundstück entsteht jetzt ein Ort der Information mit Aussichtsplattform und angeschlossenem Seminarraum. Als Fertigstellungs- und Einweihungstermin ist der „Tag des Offenen Denkmals“ im Herbst vorgesehen. Der schon erwähnte Verein „Berliner Unterwelten e.V.“ wird dann hier ein ständiges Veranstaltungsprogramm durchführen. Wer sich bis dahin mit dem Thema intensiv befassen möchte, kann die Ausstellung „Mythos Germania“ täglich von 11-19 Uhr  im Ausstellungspavillon in der Gertrud-Kolmar-Straße 14 / Ecke Hannah-Arendt-Straße in Mitte besuchen.

Marina Naujoks

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April 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis