Ein Projekt der Pinel gGmbH und der Einzelfallhilfe gGmbH

Marlies Preßmar und Eva Bohley. Foto: Thomas Protz

Betreutes Wohnen in Familien

Die Bezeichnung „Familie“ treffe es eigentlich nicht genau, erklären mir die beiden Leiterinnen des Projektes „Betreutes Wohnen in Familien (BWF)“, Marlies Pressmar und Eva Bohley, nahezu einstimmig. Die beiden leiten seit zwei Jahren ein Projekt, das als Alternative zur Heimunterbringung Menschen mit seelischer und/oder geistiger Behinderung in Familien vermitteln möchte. Aber es gehe eben nicht um die klassische Familie, denn auch Paare und Einzelpersonen können betreuungsbedürftige Menschen zum gemeinsamen Wohnen aufnehmen, betonen beide Frauen. Eine reine Wohngemeinschaft sei das dann allerdings auch nicht. Der Wunsch, den Alltag zu teilen und Verantwortung zu übernehmen, sollte vorhanden sein. Ob das in etwa vergleichbar ist mit Pflegefamilien, die Kinder aufnehmen? Nein, ist es nicht. Auch darin sind sich die beiden Projektleiterinnen einig. Es gehe nicht um ein besonderes pädagogisches Engagement, das von Pflegefamilien zu Recht erwartet werde. Beim betreuten Wohnen in Familien gehe es ja um Erwachsene, die sich wünschen, aus dem Heim in eine normale Umgebung zu kommen. Das Wichtigste ist deshalb, dass die Chemie von beiden Seiten her stimmt.

In Berlin ist das „Betreute Wohnen in Familien“ bisher noch kaum verbreitet.
Das Projekt „BWF Berlin“ ist hier das erste Projekt seiner Art. In anderen Bundesländern ist das betreute Wohnen von psychisch oder geistig behinderten Menschen in Familien viel mehr verbreitet, gehört zur Regelversorgung und ist auch unter dem Begriff „Psychiatrische Familienpflege“ bekannt. Es gibt ein auffälliges Nordost/Südwestgefälle, welches historische Gründe hat. Bereits Anfang des vorigen Jahrhundert nämlich gab es erste Ansätze der psychiatrischen Familienpflege, die von reformwilligen Psychiatern als Alternative zur Unterbringung in Heimen oder Kliniken gefördert wurden. Geographisch lagen die Schwerpunkte dieser Initiativen im Süden und Westen Deutschlands. Während des Nationalsozialismus wurden diese Strukturen weitgehend zerstört und nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal nicht wieder aufgebaut. Chronische Patienten wurden sowohl in West- als auch in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre in erster Linie in Heimen und Kliniken untergebracht. Erst als die moderne Sozialpsychiatrie an Einfluss gewann, wurden Klinikbetten abgebaut und das betreute Wohnen in Wohngruppen oder Einzelapartments begann sich – zumindest in Westdeutschland - zu etablieren. Im Süden und Westen wurden ab Mitte der 80er Jahre Teams zusammengestellt, die die psychiatrische Familienpflege neu aufbauten. Das Betreute Wohnen in Familien wurde dadurch besonders in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen zu einer anerkannten Form der Betreuung von psychisch kranken und behinderten Menschen.

In Brandenburg gibt es immerhin schon seit 1999 ein Projekt in Königswusterhausen, auf dessen Erfahrungen das Berliner Projekt teilweise zurückgreifen konnte. Eine Regionalgruppe Ost in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie bemüht sich um den Ausbau des Betreuten Wohnens in Familien (BWF) in den bisher wenig versorgten Bezirken Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Seit Gründung des Berliner Projekts vor zwei Jahren sei die Resonanz sehr gut, sagen Frau Pressmar und Frau Bohley. Generell sei es in Großstädten aber schwieriger als in ländlichen Gebieten, diese Form des Wohnens zu etablieren. Die Anonymität in Großstädten sei größer, dadurch ist die Hemmschwelle größer, jemanden bei sich aufzunehmen. Diese Hemmschwelle sinkt jedoch, wenn man sich kennen lernt und weiß, worauf man sich miteinander einlässt, und deshalb bieten Frau Pressmar und Frau Bohley die Begleitung und Betreuung an.

Wer tritt bisher an das Projekt BWF Berlin heran?
Es hätten sich viele Klienten, Betreuer und auch viele Familien gemeldet, allerdings meldeten sich noch nicht genügend Familien, die tatsächlich geeignet sind. Dabei ist es gar nicht so, dass nur „perfekte“ Familien gesucht werden, in denen womöglich jemand schon berufliche Erfahrung im sozialen Bereich hat. Gesucht sind weniger Menschen, die aus allzu idealistischen Gründen, jemanden aufnehmen wollen, sondern Leute, die ihren Alltag mit jemanden teilen wollen, der Unterstützung benötigt. Menschen, die vielleicht ganz praktisch daran denken, dass bei ihnen ein Zimmer frei ist und dort jemand wohnen könnte, der sonst im Heim wohnen müsste. Finanziell erhält die Gastfamilie eine Betreuungspauschale vom Träger der Sozialhilfe (zwischen 300 und 400 Euro), eine Mietpauschale (ca. 233 Euro) und einen Beitrag des Gastbewohners zu den Lebenshaltungskosten.

Auf Seiten der Klienten achten die Projektleiterinnen natürlich darauf, dass auch diese für das Zusammenwohnen geeignet sind. Es gibt Ausschlusskriterien wie sozial nicht oder kaum zu integrierende Verhaltensweisen. Nicht geeignet sind Menschen mit einer akuten Suchtproblematik, mit selbst- und fremdgefährdendem Verhalten oder sexuellen Verhaltensauffälligkeiten. Eine Krankheitseinsicht und eine gute medikamentöse Einstellung des Patienten sei gefordert. Gerade bei psychisch kranken Menschen gebe es aber eine Menge Vorurteile, die mit der Realität nur bedingt etwas zu tun hätten. Bei beiden, aufnehmender Familie und dem zu betreuenden Klienten, sei die Bereitschaft zur Transparenz und zur Zusammenarbeit mit Behörden und mit dem Fachteam des BWF Berlin Grundvoraussetzung. Das Fachteam ist erste Anlaufstelle für interessierte Familien und Klienten, gleichzeitig bietet es Beratung, Unterstützung und Hilfe an.

Wie kommt also ein Kontakt zwischen interessierter Familie und möglichen Klienten zustande?
Indem sich diese jeweils an das Team von BWF Berlin wenden. Ganz am Anfang findet ein Informationsgespräch statt und die Familie wird auch zu Hause besucht. Die Mitarbeiterinnen wollen sich ein Bild machen, ob die räumlichen Voraussetzungen überhaupt gegeben sind. Fragebögen, die Angaben zur Biographie und zu den sozialen Verhältnisse machen, werden ausgefüllt. Wünsche von beiden Seiten werden berücksichtigt, schön ist es natürlich, wenn sich auf Anhieb gemeinsame Interessen finden lassen, z. B. über Hobbies. Finden sich zwei zueinander passende Gegenüber dann kommt es in der Regel zu zwei Treffen. Gastbewohner, BWF Mitarbeiterinnen machen einen Hausbesuch bei der Familie. Wenn die Chemie stimmt, dann kann der Klient bei der Familie zur Probe übernachten. Alle Familienmitglieder müssen selbstverständlich einverstanden sein, dass ein neuer Bewohner einzieht, sonst kann es nicht funktionieren. Der sozialpsychiatrische Dienst, in Fachkreisen gerne SpD abgekürzt, muss schließlich auch noch zustimmen und das Sozialamt die Kostenübernahme zusagen. Mit der aufnehmenden Familie wird ein Vertrag geschlossen, der die Versorgung bei Krankheit und während eines Urlaubs sowie die finanziellen und rechtlichen (z. B. versicherungstechnischen) Fragen regelt. Dieser Vertrag signalisiert auch, dass sowohl Familie als auch Gastbewohner nicht alleine gelassen werden, sondern durch das Fachteam des BWF Berlins bei möglichen Problemen tatkräftig und kompetent unterstützt werden.

Dass das betreute Wohnen in Familien in der Regel gut klappt, beweisen die Erfahrungen in den südlichen und westlichen Bundesländern. Frau Bohley und Frau Pressmar können auch von einem sehr gelungenen Beispiel berichten, einem Ehepaar, das einen 55-jährigen behinderten Mann aufgenommen hat. Das Ehepaar hatte nach der Berentung eine Aufgabe gesucht, die Frau kannte den Mann aus dem Heim, in dem sie vorher gearbeitet hatte. Bisher hat es keiner der Beteiligten bereut, besonders bei dem Mann sei eine positive Entwicklung erkennbar. Jedes zweite Wochenende besucht er seinen Vater, ansonsten gäbe es auch viel gemeinsame Aktivitäten mit dem betreuenden Ehepaar, man gehe gemeinsam ins Kino oder ins Theater. Der Gastbewohner ist tagsüber in einer Behindertenwerkstätte tätig, er helfe auch gerne im Garten. Er hätte sich im Betreuten Einzelwohnen, z. B. in einem eigenen Apartment, niemals zurecht gefunden und wäre auf die Unterbringung im Heim angewiesen geblieben. Durch das betreute Wohnen in einer Familie bekommt er Unterstützung, wo er sie braucht, kann sich aber auch ein Stück Selbstständigkeit bewahren.

Betreutes Wohnen in Familien ist ein Gemeinschaftsprojekt der Träger:
Einzelfallhilfe Berlin gGmbH und Pinel gGmbH.
Ansprechpartnerinnen:
Marlies Preßmar, Dipl.-Sozialarbeiterin, Mediatorin
Eva Bohley, Dipl.-Psychologin, Psychol. Psychotherapeutin in Ausbildung
Helmstr. 11, 10827 Berlin
Tel: 030-21232271
mail: info@bwfberlin.de


Isolde Peter

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April 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis