Häusermeer der Roten Insel – Blick vom Gasometer über die Cheruskerstraße in Richtung Nordosten. Foto: Axel Mauruszat
Inselleben, auch hier in Schöneberg
Liebe
Leser, Sie sind hoffentlich gut ins Neue Jahr gekommen und haben nicht
schon wieder den Wunsch, gaaaanz weit weg auf einer Insel zu sein? Bei
Robinson oder so? Nein? Gut so, denn die „Musike“ spielt hier!
„Insel“:
Nicht immer ist ein Laguneneiland gemeint, hier soll eine aufgrund der
rasanten Entwicklung im 19. Jahrhundert entstandene Insel im
städtebaulichen Sinn Gegenstand des folgenden Berichts sein: Die Schöneberger Insel, auch „Rote Insel“ genannt!
Lagebestimmung!
(Ist der Ton militärisch genug?): eingeschlossen zwischen S1, S2 und
Ringbahn liegt ein durch den (Militär-)Eisenbahnbau richtig
abgeschlossenes, wenngleich auch nicht abgeschnittenes Stadtquartier.
Der „Gasometer“ ist das - im wahrsten Sinne des Wortes - überragendste
Bauwerk auf der Insel, aber auch der St.-Matthäi-Kirchhof, über den an
dieser Stelle schon oft berichtet wurde, liegt auf dem aus der
Vogelperspektive erkennbaren dreieckigen Areal.
Warum „Rot“?
In der Literatur sind verschiedene Anlässe erwähnt, die diesen Namen
begründeten. Mal wurde schon zu Kaisers Zeiten statt der reichsüblichen
Fahne eine rote gehisst, mal geschah das Gleiche erst 1919, damals in
allen Straßen. Fest steht, dass die Bewohner traditionell politisch
„links“ standen.
Menschen, die hier lebten: Ja, ja, die beiden
Damen aus dem Film- und Showgeschäft, die hier, wie Marlene Dietrich in
der Leberstr. 65, geboren oder, wie Hildegard Knef, zumindest bei der
Oma aufgewachsen ist, sind den Berlinern bekannt. Aber sein
„Kindheitsambiente“ sucht sich keiner aus, ein Zusammenhang zwischen
Wohnort in jungen Jahren und späterer Karriere in Hollywood nicht
unbedingt erkennbar. Viel wichtiger ist die Erinnerung an die
Widerstandskämpfer des 20. Juli, die höchsten Respekt und Achtung
verdienen. Einer von ihnen, Julius Leber, organisierte den Widerstand
in einer Kohlenhandlung in der Torgauer Straße 24-26. Hier
spielte der Standort schon eine größere Rolle: Eine verschwiegene Ecke
im doppelten Sinne, ohne Durchgangsverkehr und Denunzianten in der
Nachbarschaft war wichtig. Lageplan der „Roten Insel“, Berlin-Schöneberg, 1894
Neugierig
geworden oder zumindest interessiert? Dann ist es an der Zeit, auf die
erweiterte Neuauflage der Berliner Geschichtswerkstatt e. V.
hinzuweisen: „Die Rote Insel“ heißt das Buch, das seit zwanzig Jahren
ein Renner ist, aber nun auch noch aktualisiert wurde. Die über
100jährige Kiezgeschichte der Insel wird hier beschrieben,
einschließlich der Entwicklung der angrenzenden Stadtteile rund um die
Crellestraße oder General-Pape-Straße. Sie erhalten das Buch im Laden
der Geschichtswerkstatt oder per Versand.
Europäisches
Energieforum: Auch in den übrigen Medien wird die „Insel“ -
speziell das Gelände der Gasanstalt - in letzter Zeit öfter erwähnt.
Von der Gründung einer privaten Universität, dem „Europäischen
Energieforum“ wurde berichtet, unter den Gründungsmitgliedern befinden
sich bekannte Personen des öffentlichen Lebens. Doch die großflächig
vorhandenen Altlasten durch die jahrzehntelange Nutzung als Standort
zur Gasherstellung und die Anwohnerproteste, die schon bei einer
Werbeanlagen-Installation laut werden, lassen mich an der zügigen
Durchführung eines solchen Projektes zweifeln. Vor einigen Jahren gab
es schon recht ausgereifte Planungen für den alten Gasometer, eine
„Event-Halle“ sollte hier entstehen. Wurde nichts, jetzt strömen alle
zur O²-World am Ostbahnhof. Berlin hat überdies eine Vielzahl
an Hochschulen, die dieses Ausbildungsspektrum abdecken könnten. Warum
soll also ganz neue Akademie her? Es sei denn, sie wollen ihr
Experimentierfeld vor der Tür haben...
Zukunft: Im Zusammenhang
mit der Eröffnung des Bahnhofs Südkreuz gab es eine umfangreiche
Planung für die angrenzenden Grundstücke. Bürohochhäuser,
Einkaufszentrum, na eben der ganze „Dinosaurierpark“ der Großstädte war
vorgesehen. Warum der Vergleich mit ausgestorbenen Echsen? Weil seit
der Krise im letzten Jahr auch fachfremde Bürger mit der Frage
konfrontiert werden, wie unsere Städte in einigen Jahrzehnten aussehen
sollen, und zwar im Hinblick auf den Anspruch, weniger Energie zu
verbrauchen, weite Transportwege zu vermeiden und trotzdem gut zu
leben. Und die als „Dinos“ bezeichneten Gebäudeformen sind zwar
repräsentativ, aber (noch) nicht optimal ausgereift für diese Ziele.
Investoren wurden in diesen krisengeschüttelten Zeiten ohnehin nicht
gefunden.
Sonneninsel: Aber um mal ganz andere Wege zu
beschreiten, ist doch so ein innerstädtisches „Inselchen“ das ideale
Terrain! Nach den Bauausstellungen Interbau 1957 und IBA 1985 wäre ein
großflächiger Modellversuch - eine „Sonnen-Insel-Bau“ im Jahr 2013
- genau im zeitlichen Takt. Mittel für den „Stadtumbau
West“ soll es ja geben, wie immer wieder aus Fachkreisen verlautet.
Also, warum nicht die Förder-Etats kräftig aufstocken (Geld gibt´s doch
genug!?) und los geht´s (Sie merken, ich träume):
Entlang
der Ringtrasse (Erinnert nicht schon die Form an einen
überdimensionalen Parabolspiegel?) vollflächige Solaranlagen
(Südwesten!), an der Nordspitze (Yorckstraße, wüste Gegend!) ein paar
Windkraftanlagen und irgendwo dazwischen - wie in alter Zeit überall
üblich - einen Kuhstall! Bevor Sie mich jetzt für eine Fantastin
halten, höre ich auf. Aber bestaunen Sie nicht nur die wegweisenden
Entwicklungen im Ausland und den Stillstand in der eigenen Umgebung.
Marina Naujoks
Berliner Geschichtswerkstatt e. V. Goltzstraße 49 (Schöneberg) info@berliner-geschichtswerkstatt.de Tel.: 030 / 215 44 50 Das Buch „Die Rote Insel“ kostet 12,00€ direkt im o. g. Laden oder 14,50€ per Versand
. Februar 2009 Stadtteilzeitung
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