Interview mit Dr. Joseph Bordat, Leiter des Philosophischen Cafés in Schöneberg

Dieser Bildausschnitt zeigt die bis in die Neuzeit maßgeblichen Stützen der Philosophie Platon und Aristoteles. Die Darstellung entstammt einem Fresko, das Raffael 1512 zur Ausmalung der päpstlichen Privatgemächer geschaffen wurde.

Der Philosoph vor Ort


In der letzten Ausgabe unserer Stadtteilzeitung entdeckte Leser Ottmar Fischer im Schöneberger Kulturkalender den Hinweis auf das „Philosophische Café in Schöneberg“. Neugierig geworden, nahm er daraufhin an der dort beginnenden Veranstaltungsreihe teil, die sich mit den Grundfragen der philosophischen Ethik und den Folgen für die Praxis als öffentliche und private Entscheidungsmoral befasst. Auf seine Bitte hin kam das folgende Interview mit dem Leiter des Philosophischen Cafés, Herrn Dr. Josef Bordat, zustande.

Herr Dr. Bordat, in dem berühmten Streitfall der beiden Frauen, die gleichermaßen von sich behaupteten, sie seien die Mutter jenes Kindes, das vor den König Salomo gebracht worden war, entschied dieser, er wolle das Kind in zwei Teile zerschlagen und damit beiden Frauen gerecht werden. War diese Entscheidung weise?

Nun, man kann diesen Fall als Lehrstück in Sachen Tugenden lesen. Von diesen gibt es in der Philosophie der Antike vier: Klugheit oder Weisheit, Tapferkeit oder Mut, Besonnenheit oder Mäßigung und - als Ergebnis einer harmonischen Einheit dieser Tugenden - Gerechtigkeit. Die sprichwörtliche Weisheit Salomos im Bemühen um ein gerechtes Urteil zeigt sich weniger in dem Lösungsvorschlag selbst, sondern in der Absicht, damit bei den Frauen einen Reflexionsvorgang auszulösen, der beide auf die Bedeutung der Tugenden führt. Bekanntlich verzichtet die wahre Mutter mutig auf ihren „Anteil“ am Kind, um dessen Leben zu bewahren und wird dadurch als die wahre Mutter identifiziert. Die falsche Mutter, der es an der nötigen Mäßigung mangelt, muss lernen, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und ihr Über-Mut nur dazu führt, dass am Ende alle verlieren. Insofern war die Prozessführung weise, weil sie an Mut und Mäßigung appellierte und alle Beteiligten zur Einsicht in die Notwendigkeit tugendhaften Lebens führte. Und damit war das Urteil im Ergebnis auch gerecht.
Soweit, so klar. Doch ist das Erlernen der Bedeutung eines tugendhaften Lebens nicht etwas völlig anderes als ein tugendhaftes Leben zu führen?

Richtig. Das erste gehört in den Bereich der Ethik, in der es um die Analyse und Begründung von Moraltheorien geht, das zweite bezieht sich auf die praktische Moralität, die aus einer bestimmten Moralvorstellung erwächst. Dazu gehört nicht nur eine begründete Moralvorstellung, sondern auch die Willenskraft, diese im Alltagsleben umzusetzen. Manchmal treten konkrete praktische Bedingungen auf, die uns abrücken lassen vom tugendhaften Leben. Das ist menschlich. Nur sollte man sich der Tatsache bewusst sein und bleiben, dass man eben in einer bestimmten Situation dumm, feige, maßlos und damit ungerecht gehandelt hat. Dieses Bewusstsein ist der erste Schritt zurück in die Tugendhaftigkeit.

Noch einmal nachgehakt. Wenn es diese beiden Ebenen gibt und sie grundsätzlich getrennt voneinander betrachtet werden müssen - wie können dann überhaupt die Erkenntnisse aus dem ethischen Reflexionsprozess in konkretes moralisches Handeln überführen?

Das ist eine ganz wichtige Frage. Die Einsicht in das Gute macht Niemanden gut. Das ist ein Irrtum der Hochaufklärung, deren Vertreter, etwa der Leibniz-Systematisierer Christian Wolff, felsenfest davon ausgingen, dass der Mensch durch Bildung nicht nur informierter, sondern auch moralisch besser werde. Das stimmt leider nicht. Dennoch ist die gute Tat nicht völlig unabhängig vom erworbenen Wissen. Klugheit verbindet die theoretische Ebene der Ethik mit der Praxis moralischen Tuns. Das Erlernen der Tugenden ist in diesem Sinne eine Wechselbeziehung von Denken und Handeln. Das ist damit gemeint, wenn man sagt, dass Tugenden erst verinnerlicht und dann eingeübt werden müssen.

Und worum geht es dann im Philosophischen Café - ums Reflektieren oder ums Einüben?
Na ja, zunächst freilich um die Theorie, um ethische Argumentation, die vier genannten Tugenden und die drei christlichen (Glaube, Hoffnung, Liebe). Aber da Diskutieren ja auch eine Handlung ist, geht es selbstverständlich gleich um das Einüben der Tugenden. Auch mit „Sprechakten“ kann man schließlich Menschen und Sachverhalten gerecht werden - oder eben nicht. Im Philosophischen Café wird versucht, diese Gerechtigkeit zu üben.

Zum Schluss noch eine Frage zu Ihrer Person. Wie sind Sie eigentlich zur Philosophie gekommen?

Während meines Ingenieurstudiums habe ich an der Technischen Universität Berlin eine Veranstaltung zur Einführung in die Philosophie besucht. Die interessanten Fragen und die strukturierten Antworten der großen Denker haben mich fasziniert, so sehr, dass ich dann später noch Philosophie studiert und am Philosophie-Institut meinen Doktor gemacht, also promoviert habe. Einige Jahre lang war ich im Philosophischen Café der Katholischen Studierendengemeinde Edith Stein aktiv, und nun versuche ich hier in Schöneberg, dem Gespräch über Ethik und Moral einen angemessenen Rahmen zu geben.

Herr Dr. Bordat, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Philosophische Café findet in den Räumen der katholischen Pfarrgemeinde St. Norbert, Dominicusstr. 19 in Schöneberg statt. Die nächsten Termine sind: 7.2., 7.3., 21.3., 28.3. Das ist jeweils ein Samstag. Beginn ist 15 Uhr. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Dr. Josef Bordat,
Leiter des Philosophischen Cafés


Ottmar Fischer

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Februar 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis