Wir erinnern an den Bau der Berliner Mauer und feiern deren Fall     von Marina Naujoks

Mauerfall, 11.11.1989, Foto: Sigrid Wiegand


„Sondersendung zur Schließung der Sektorengrenze“


So oder so ähnlich wurden die Berliner am 13.8.1961 überrascht und ahnten nicht, dass nun ein 28 Jahre lang andauerndes, andersartiges (Stadt-)Leben beginnen würde.
Ein Mauerbau zur Lösung von innenpolitischen Konflikten. Das gab es vorher in dieser Art noch nie. Mauern dienten als Bollwerke und Verteidigungsanlagen im konkreten Kampfgetümmel, Mauern unterbanden Schmuggelaktivitäten in großem Stil oder verhinderten Desertion. Hier gab es nur ei-nen Zweck: Den Menschen  hinter der Mauer ihr Menschenrecht auf Freizügigkeit zu nehmen.

Die Vorgeschichte:
Der sich damals zuspitzende politische Konflikt entstand durch die völlig unterschiedliche politische und wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Besatzungszonen Deutschlands bzw. in den Berliner Sektoren nach dem Zweiten Weltkrieg. Während in den West-Zonen der Wiederaufbau zügig voranging, auch dank finanzieller Unterstützung wie z. B. durch den „Marshall-Plan“, behielt sich die Sowjet-Union vor, Reparationsleistungen aus ihrer Besatzungszone zu ziehen. Das Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost nahm immer mehr zu.

Die gesellschaftliche Umstrukturierung im Osten trieb die Spaltung voran: Die Menschen im sowjetischen Machtbereich sollten zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ umerzogen werden, die kein individuelles Erfolgsstreben kennen, sondern ihre volle Kraft ins „Kollektiv“ einbringen sollten.  Konkret bedeutete das die Enteignung der wenigen nach dem Krieg erhaltenen (Familien-) Betriebe, die Verstaatlichung der Landwirtschaft durch Gründung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) etc.

Ein markantes Datum auf diesem Weg ist der 17. Juni 1953, als Ostberliner Arbeiter nach der wiederholten Erhöhung der Arbeitsleistungsnormen auf die Straße gingen. Dieser Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Von da an flüchteten immer mehr Menschen von Ost nach West. Allein 1953 verließen über 330.000 Flüchtlinge die DDR, zwischen 1949 (Gründung der DDR am 7.10.1949) und Mauerbau fast 2,7 Millionen Menschen.

Die Atmosphäre Berlins in jenen Jahren wird durch ein Zitat des amerikanischen Botschafter Bruce charakterisiert, der seine Eindrücke so schildert: „Ost-Berlin sah so trist wie eh und je aus (...) Man sagt uns, dass die Bewohner gesund sind und genug zu essen haben, aber ihr freudloses Leben muss unsagbar langweilig sein. (...) Die meisten Häuser in West-Berlin sind noch weihnachtlich geschmückt (...) Im Ostteil war nichts dergleichen zu sehen.“

Geopolitisch betrachtet war der „Kalte Krieg“ in vollem Gange: An der Sektorengrenze stießen die beiden großen Machtblöcke zusammen: NATO und Warschauer Pakt. Beide Seiten wollten aber eine militärische Auseinandersetzung un-bedingt vermeiden. Ein neuer Krieg hätte zur atomaren Vernichtung führen können.

Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte musste es zwangsläufig zu irgendeiner Maßnahme kommen, die  hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone - inzwischen als DDR und somit eigener Staat schon von einigen befreundeten Ländern, aber international nicht völkerrechtlich anerkannt - in ihrem Bereich festhielt.

Welche Varianten hierfür in den Ost-Berliner Polit-Büros dabei durchgespielt wurden, werden wir erst nach Öffnung der Archive in x Jahren erfahren. Wir wissen aber heute, dass der Befehl zur Errichtung eines „Eisernen Ringes um Berlin“ vom damaligen sowjetischen Staatsoberhaupt Chruschtschow kam. Entsprechende Dokumente wurden erst jetzt freigegeben. Ab 13.8.1961 begann man mit dem Versuch, den Zug tausender Flüchtlinge mit einem Bauwerk einzudämmen.

Das Bauwerk:
Ziemlich klein begann der Bau, Stein auf Stein. Wahrscheinlich wusste man auf Ost-Berliner Seite -die „Bauleitung“ oblag dem jungen Erich Honecker - selbst nicht genau, für wie lange und für welchen Umfang die Planung vorgesehen sein soll? „WAS, eine Mauer? Da springe ich locker ´rüber!“ sagten sich die ersten Flüchtlinge. Sie wurden beim Fluchtversuch erschossen. Somit war in abschreckender Form klar: Hier setzt die DDR-Regierung ihre volle Macht ein, es ist ihr total ernst mit der Durchsetzung der Maßnahme.

Stellt man die weitere politische Entwicklung dem Ausbau der Grenzbefestigung gegenüber, ist ein Zusammenhang erkennbar: Nach dem Scheitern von Verhandlungen über Passierscheinregelungen 1966 wurde 1968 die als Mauerwerksbau errichtete Mauer durch viel größere Betonplatten (mit Rohren als oberem Abschluss) ersetzt. Bis 1989 wurden vier verschiedene Bauarten umgesetzt, in der Literatur auch als „vier Generationen“ bezeichnet.
Umgekehrt wurde die DDR-Regierung mit zunehmendem Ausbau immer sicherer, dass sie die Kontrolle über ihre Bürger hatte und war zu Verhandlungen mit dem Westen bereit. Das Transitabkommen 1971 und der Grundlagenvertrag 1972 sind auch Ausdruck der eigenen Selbstsicherheit. Der Schießbefehl existierte, sollte aber möglichst wenig angewandt werden, weil in der Epoche der Entspannung, die nach den genannten Verträgen folgte, die DDR ihr internationales Ansehen erhöhen wollte: Man wollte endlich die völkerrechtliche Anerkennung durch die Vereinten Nationen als eigener Staat.
Der kontinuierliche Ausbau nahm immer mehr Flächen in Anspruch. Denken Sie nur an den breiten Todesstreifen in Mitte zwischen Ebertstraße und Wilhelmstraße! Breite Grenzsicherungsstreifen wurden angelegt: Das „Vordere Sperrelement“ ist immer als Mauer schlechthin betrachtet worden, weil sie auf der Westseite sichtbar, fotografierbar, besprühbar war. Dahinter ging es weiter: Kontrollstreifen, Kolonnenweg, Beobachtungstürme und Führungsstellen, Grenzsignalzaun und Hinterlandmauer. Die gesamte Anlage wurde auch nachts taghell ausgeleuchtet  an der Grenze eines Landes, dessen wirtschaftliches Wachstum ständig durch Rohstoffmangel gebremst wurde und in dem als Energieträger fast nur die heimische Braunkohle verfügbar war.

Grenzsoldaten im Dreischichtbetrieb leisteten ihren Dienst am „Antiimperialistischen Schutzwall“, so die offizielle Bezeichnung seitens der DDR. Das waren Arbeitsstunden, -tage, -monate, -jahre von jungen Männern, die in jedem anderen Beruf einen viel höheren produktiven Beitrag zum Bruttosozialprodukt geleistet hätten. Überdies mussten die jungen Männer der Grenzschutztruppen mit Essen und Trinken, mit Uniformen und Unterkünften versorgt werden, von der Ausstattung mit Waffen ganz zu schweigen.

Vielleicht hatte das in der DDR niemand genau berechnet? Denn diese Belastungen forcierten den wirtschaftlichen Untergang. 

Menschliche Schicksale:
Neben der Betrachtung aller politischen Fakten, die auch zu dem positiven Schluss führen können, dass durch den Bau der Mauer ein Krieg vermieden wurde, soll an dieser Stelle nicht die Auswirkung auf die Menschen vergessen werden:
Die schnelle, überraschende Aktion am 13. August 1961 trennte in vielen Fällen Familien, Paare, Freunde. Die Studentin in West-Berlin kam nicht zu ihren Eltern in Brandenburg zurück, der Verlobte aus Lichtenberg nicht zu seiner Verlobten in Steglitz. Wir erinnern uns an Erich Honeckers zynische Bemerkung, warum er darauf bestand, in Chile zu bleiben: Weil er seine Enkelkinder aufwachsen sehen wollte! Das war vielen Berliner Großeltern damals nicht vergönnt.

Die vielen Fluchtaktivitäten - immer unter Lebensgefahr! -, die in den achtundzwanzig Jahren des Bestehens der Mauer stattfanden, wären einen eigenen Beitrag wert. Über 800 Menschen wurden an der innerdeutschen Grenze erschossen, ebenso viele verletzt.

Wir feiern am 9. November in diesem Jahr den 20. Jahrestag des Mauerfalls. Eine „kleine“ Presseerklärung mit einem fehlinterpretierten Satz hatte genügt, um die DDR-Bürger noch spät in der Nacht ihr ureigenstes Recht wahrnehmen zu lassen: Den Schritt auf die andere Seite!

Sollten Sie erst jetzt in das Thema richtig einsteigen wollen, empfehle ich - neben vielen interessanten Portalen im Internet - die Seite www.mauerfall09.de. Jungen Menschen kann das Thema durch eine Fußgänger-Rallye verdeutlicht werden. Oder kommen Sie mit zu meinem Mauerspaziergang „Alles schon vergessen?“ Ich freue mich darauf, Sie zu sehen!

Mauer-Rallye für Jugendgruppen
Vom Checkpoint Charlie zum Potsdamer Platz
Termin und Preis je nach Buchung u. Gruppengröße
Info und Anmeldung unter 033708 - 90 940 oder 030 - 782 72 14 oder www.berlin-ganz-anders.de

Mauerspaziergang für Senioren
„Alles schon vergessen?“
am 11.8.2009 um 10.30 Uhr
Treffpunkt vor dem Nordbahnhof
Anmeldung unter 030 - 782 72 14,
Kosten: 5 Euro pro Person

Marina Naujoks

Schreib Geschichte(n)!

So heißt ein viertägiges Seminar für literarisch tätige Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Bundesgebiet. Vom 22. bis 25. Juli (also mitten in den Sommerferien) können unter fachkundiger Anleitung von Autorinnen, Journalisten und Künstlern in unterschiedlichsten Arbeitsgruppen literarische Themen, Formen und Arbeitsweisen ausprobiert werden. Wie das Motto SCHREIB GESCHICHTE(N)! schon zeigt, geht es dabei nicht nur um Geschichten, Erzählungen und Stories, sondern auch um Geschichte, Historie und um 20 Jahre Mauerfall.

Am Abend stehen offene Gesprächsrunden auf dem Programm. Die Teilnahme kostet 60,- Euro (inkl. drei Übernachtungen und vier Mahlzeiten täglich).
Infos dazu bei Verein Kreatives Schreiben e.V., Brachvogelstr. 6, 10961 Berlin, www.schreibwerkstatt-berlin.de.

Die fertigen Texte werden bei einer öffentlichen Lesung am letzten Abend (25. Juli) um 19:00 Uhr vorgestellt:
Ort: Pinellodrom, Dominicusstraße 5-9, 10823 Berlin-Schöneberg.
Der Eintritt ist frei.

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