Vögel in der Großstadt
Auf den Vogel gekommen ...

Mein Mann und ich haben eine Meise, nein, natürlich haben wir zwei Meisen, ein Meisenpärchen, das nun schon im zweiten Jahr bei uns brütet. Seit sich die Meisen in dem kleinen Vogelhäuschen eingerichtet haben, weiß ich meinen eigenen Alltag zu schätzen. Was habe ich nur für ein leichtes und luxuriöses Leben! Wann immer ich mich belastet und müde fühle, sage ich mir: Sei froh, dass Du keine Meise bist!

Meiseneltern sind nämlich praktisch nur für den Nachwuchs unterwegs, fliegen im Akkord hin und her, um genügend Würmer in das Meisennest zu transportieren, und zum Dank kreischen die Jungen herzergreifend schrill. Die Meiseneltern wirken nach einer Weile regelrecht ausgebrannt, wodurch sich ihr Risiko erhöht, von einer unserer beiden Katzen, heimtückisch ermordet zu werden.

Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen singen Großstadtvögel wegen des vielen Lärms lauter als früher, weil sie sich sonst selbst nicht mehr hören können. Dazu kommen die Lichter der Großstadt: die Helligkeit bringt den Tag-Nacht-Rhythmus der Vögel durcheinander, sie singen praktisch Tag und Nacht. Vögel gehören also heutzutage - ähnlich wie wir Menschen - zu den ultimativ gestressten Lebewesen. Und wer gestresst ist, fängt selbst an zu stressen. Mich zum Beispiel bringt eine zivilisationsgeschädigte Singdrossel regelmäßig um den Schlaf. Sie hat sich darauf spezialisiert, Wecker nachzuahmen. Täuschend echt. Das schrille Rrrrrrrrring alter mechanischer Wecker kann sie genauso gut wie das Piepiep-Piepiep der digitalen Wecker. Eine echte Künstlerin! Nur schade, dass sie ihr Können um vier Uhr nachts zeigt.

Eines der schon erwähnten Raubtiere hat mir neulich eine Singdrossel, die vom nächtlichen Singen sicherlich völlig erschöpft war, angeschleppt. Kein schöner Anblick so ein Vogel in einem Katzenmaul. Das Raubtier wurde geschimpft und die Singdrossel gerettet. Wahrscheinlich hat es die Katze nur gut gemeint („Ich bringe diese Nachtstörerin um und tue meiner Besitzerin einen Gefallen!“), aber eine singende Singdrossel ist mir lieber als eine gefressene. Die Meisen sind zum Glück dermaßen schnell, dass die Katzen sie nie erwischen. Jetzt schleppen die Katzen immer Feldmäuse an. Die sehen sehr putzig aus, scheinen aber am schwersten von Kapee zu sein.

Isolde Peter

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Juli-August 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis