Kindergartenkinder erobern den Wald


Im Wald und auf der Heide ...


Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti meinte, dass in keinem Land der Welt das Waldgefühl so lebendig geblieben sei wie in Deutschland. Und auch der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno hielt die Leidenschaft für das „parallele Aufrechte“ in unserem Land für besonders ausgeprägt.

Leider gibt es jedoch keinen „Normalzustand“ der Natur und es ist auch kein Thermostat verfügbar, der die jeweils gewünschten Temperaturen einrichten könnte. Stattdessen fängt es dort an zu regnen oder zu schneien, wann es will. Es herrscht Frost oder Hitze, die Bodenverhältnisse sind schwankend, und man weiß nie, was einem dort begegnet. Die Natur ist also der Ort des unabänderlichen Wandels, sodass die Menschen in ihrem Wunsch nach Beständigkeit dazu neigen, solch unsichere Verhältnisse zu meiden und sich in Betonquartieren einzuigeln. Dort aber gewöhnen sie sich an ihre unnatürlichen Verhältnisse und verlieren dann leicht ihre Fähigkeit, auch in wechselhaften Umständen zu bestehen.

Bei dieser Konstellation ist es daher kein Wunder, dass es in unserem Lande eine Gegenbewegung gibt. So sind Waldkindergärten entstanden, in denen die Kinder bei bester Gesundheit das ganze Jahr über und bei jedem Wetter im Wald und auf der Heide spielen und Entdeckungen machen können.

... da such ich meine Freude
Das „Kinderhaus Friedenau“ führte über drei Wochen am Teufelssee ein „Waldprojekt“ durch und bot 14 Jungen und Mädchen die Gelegenheit zu einem Intensivkurs Natur. Statt Spielen im Haus gab es Begegnungen mit Mistkäfern und Ameisen. Statt Tisch und Stuhl gab es Bäume zum Klettern und Stämme zum Balancieren. Statt Bildergeschichten gab es lebendige Bienen und Wespen. Natürlich waren einige über diese tatsächliche Natur zunächst erschrocken, doch nach einem Besuch im Ökowerk und der kundigen Führung des dort arbeitenden Biologen Reiner Grube fanden es die meisten doch sehr interessant, eine Nacktschnecke über den ausgestreckten Arm kriechen zu lassen oder einem Bienenvolk beim Honigmachen zuzuschauen.

Dennoch hatten die Kinder auch im Wald eine Heimat: Sie bauten sich eine eigene Hütte; zusammengetragene Stämme, Stöcke, Schnüre und Blätter bildeten einen kleinen Raum, der einem ordentlichen Regen wohl keinen Widerstand entgegengesetzt hätte. Dafür wurde die kleine Butze für drei Wochen zum Zuhause unter Bäumen, zum Ausgangspunkt für Entdeckungszüge zum See, wo sich Enten geduldig füttern ließen und der Graureiher würdevoll den Lärm der tollen Horde ignorierte.

So eine Waldbesichtigung kostet unter den heutigen Bedingungen auch dann Geld, wenn sie von so viel Eigeninitiative wie von den Erzieherinnen Kristina Genz und Angela Schirmer getragen wird. So holte der Malteser Hilfsdienst die Kinder täglich ab und brachte sie auch wieder zurück. Und die noch nicht Dreijährigen unter den Naturforschern hielten ihren gewohnten Mittagsschlaf in der Jugenderholungsstätte Pyramide. An alles muss gedacht werden und nichts gibt es umsonst.

Aber es gibt mittlerweile viele Fonds von Firmen, die soziale Projekte auch im kleinen und lokalen Rahmen unterstützen. Im Falle dieses Waldprojekts war es die Gasag, die für die Fahrtkosten aufkam. So konnten denn die 14 Jungs und Mädchen eine neue Perspektive kennen lernen. Und wenn es nur der Blick eines jungen Naturforschers durch das Glas einer Becherlupe ist.

Wer Lust auf ein eigenes Waldprojekt hat, kann Informationen bekommen bei Eberhard Spohd,
Tel.: 84 18 33 03 oder www.kinderhaus-friedenau.de

Ottmar Fischer

.
Juli-August 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis