Tiele-Winckler-Haus: Bilder suchen eine Ausstellung


Art goes Nachbarschaft II


Es wäre schade, meinten Frauke Schärff und ihr Mann Gerald Auler, die Werke nur in Abstellkammern zu verstecken. Die beiden Kunsttherapeuten betreuen seit Jahren die Malgruppen für Bewohner der Tiele-Winckler-Häuser, Gerald Auler in Weißensee und Frauke Schärff in Friedenau. Diese Wohngemeinschaften für geistig Behinderte sind Einrichtungen der gemeinnützigen Tiele-Winckler-Haus GmbH, einer Tochtergesellschaft der Stiftung Diakonissenhaus Friedenshort. Die Stiftung findet ihre Ursprünge im 19ten Jahrhundert: Der Gründung einer diakonischen Einrichtung für Arme, Alte, Behinderte und Nicht-sesshafte, den „Friedenshort“, durch die Diakonissin Eva Tiele von Winckler. Heute unterhält die Stiftung in ganz Deutschland Einrichtungen für Kinder- und Jugendhilfe, Menschen mit geistiger Behinderung, Alten- und Pflegeheime. Die Berliner Gesellschaft Tiele-Winckler-Haus arbeitet mit der Zielsetzung, den geistig behinderten Bewohnern ihrer Häuser ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. 

Das genau war auch der Ansatzpunkt der Überlegungen der beiden Kunsttherapeuten: Wie können wir die Werke unserer künstlerisch tätigen Patienten der Öffentlichkeit zugänglich machen und dabei ein therapeutisches Ziel erreichen? Die Idee dazu entstand sozusagen „am Küchentisch“: Die Bilder im Umfeld der Bewohner der Häuser zu präsentieren. Aus dem reichhaltigen Fundus, zu-nächst des Hauses in Weißensee, wählten sie einige, darunter durchaus auf künstlerischem Niveau anspruchsvolle Bilder aus, und Gerald Auler fragte im Weißenseer Kiez bei Geschäftsleuten an, ob sie bereit wären, ein Werk auszustellen. Die Idee fand Anklang und so entstand ein bundesweit einmaliges Projekt, das vor drei Jahren in Weißensee zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde: „Art goes Nachbarschaft“. Mittlerweile hängen dort 72, von Bewohnern des dortigen Tiele-Winckler-Hauses geschaffene Bilder in Geschäften, Apotheken, Praxen und Kneipen.

Erweiterter Lebensraum durch Kunst im Kiez
Die Erwartungen, die die beiden Therapeuten an das Projekt knüpften, wurden voll erfüllt. Die ausgestellten Bilder fanden nicht nur Beachtung, sie regten auch zu Diskussionen an und etliche gewannen Liebhaber, die ihre „Objekte“ regelmäßig besuchen (zum Verkauf stehen die Bilder nicht). Die Ausstellung ist mittlerweile fester Bestandteil der Kiezkultur, es gibt sogar einen Dokumentarfilm darüber. Aber insbesondere der zu beobachtende Integrationseffekt ist bemerkenswert, erläutert Frauke Schärff. Im Allgemeinen sind Bewohner von Behinderteneinrichtungen in der Umgebung außerhalb ihrer Wohnung sehr unsicher, sie nehmen immer dieselben Wege und betreten nur Geschäfte, die sie kennen. Nachdem ihre, oder die Bilder von Mitbewohnern, verteilt an ihnen zunächst unbekannten Orten ausgestellt wurden, fällt es ihnen leichter, die Schwellenangst zu überwinden und „Neuland“ zu betreten - es ist ja schon etwas Vertrautes da, eine Art „Spurensetzung“ der sie folgen können. Die Bilderpräsentation hilft ihnen, ihren Lebensraum zu entfalten, ganz im Sinne der Zielsetzung eines möglichst selbstbestimmten Lebens.

Geschäfte in Friedenau für Bilderausstellung gesucht
Jetzt befindet sich das Nachfolgeprojekt in der Startphase: „Art goes Nachbarschaft II“, hier in Friedenau. Bereits seit zehn Jahren existiert die kunsttherapeutisch betreute Malgruppe des Tiele-Winckler-Hauses in der Handjerystraße, seit 3 Jahren betreut von Frauke Schärff. Die seit Beginn der Gruppe entstandenen Bilder wurden gesammelt und lagern wohlverwahrt, eine Auswahl aus diesem Fundus steht nun für die Ausstellung bereit. Und auch darunter befinden sich einige „Schätze“, z.B. die winzigen, teils nur briefmarkengroßen, filigranen Bleistiftzeichnungen, in repräsentativen Goldrahmen gewürdigt, aber auch Aquarell- oder mit anderen Techniken gemalte Bilder, bestechend durch ihre Farbnuancen. Die ausgewählten Bilder werden gerahmt, aber ohne zusätzliche Kommentierung den Geschäftsinhabern zur Ausstellung in ihren Räumen angeboten. Das Wo und Wie bleibt jedem der „Galeristen“ selbst überlassen - und bietet Raum für eigene Kreativität. Ein spannendes, integratives und interaktives Projekt. 

Sollte Ihr Interesse geweckt sein: Geschäftsinhaber (Läden, Apotheken, Praxen, Gaststätten u.a.), die ein Bild in ihren Geschäftsräumen präsentieren möchten, können sich unter folgenden Telefonnummern informieren:

Frauke Schärff Tel.: 440 55 667
Frau Lyongrün Tel.: 85 11 96 8

Rita Maikowski

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Juli-August 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis