Premiere im Kleinen Theater am Südwestkorso
Der graue Engel
von Moritz Rinke
Regie: James Edward Lyons
mit Agnes Hilpert und Urs Werner Jaeggi



"Wieviel Text habe ich noch?"

Merkwürdigerweise dachte ich gar nicht an Marlene, "unsere" Marlene, die viel umstrittene, als mir der Titel des Theaterstücks von Moritz Rinke zum erstenmal unterkam. Vielleicht, weil ja nicht Marlene Dietrich der "blaue Engel" in dem Film nach Heinrich Manns Roman "Professor Unrat" war, sondern das Etablissement, in dem sie als "tolle Lola" die Männer verrückt machte. Aber das ist lange her. Jetzt, in dem Stück, liegt sie nur noch im Bett in ihrer Pariser Wohnung, wahrlich ein "grauer Engel". Ein guter Titel für das Stück.
 
Als sie noch nicht auf dem Künstlerfriedhof in der Stubenrauchstraße in ihrem oft bizarr dekorierten Grab lag - Sektgläser auf dem Grabstein mit dem markigen Motto, Liebesbriefe, kleine Botschaften - hörten wir oft, daß sie sich in ihrer Pariser Wohnung vor der Welt abgeschlossen hatte und niemanden an sich heranließ. Hier setzt nun das Stück an. Wie wir, hatte sich wohl auch der Autor gefragt, wie das ausgesehen haben mag, dieses zurückgezogene Leben der alten Schauspielerin. Und man fragt sich, ob das alles seiner Phantasie entsprungen ist, was er uns da vorführt. Genau so könnten sie gewesen sein, ihre letzten Tage - denn um die geht es hier.
 
Der Vorhang geht auf, und wir sehen das die Bühne ausfüllende breite Bett, in dem die sorgfältig zurechtgemachte Diva ihr Lebensende inszeniert, Tag für Tag auf die gleiche Weise mit dem immergleichen Text. Wie Miss Sophie in dem bekannten britischen Silvesterschwank am Esstisch mit ihren imaginierten Gästen, sitzt sie in ihrem Bett und plant die nie mehr stattfindende Rückkehr nach Berlin, in die alte Heimat. Und genauso wie der Butler James seine Miss Sophie, umsorgt Konstantin, der Diener, Gefährte, Möchtegern-Liebhaber (?) die launische Diva. Er kennt die Abfolge der Inszenierung, darf nicht abweichen und muß doch ein achtsames Auge haben für auftretende Schwächen und Verstimmungen, die sie aus den gewohnten Gleisen bringen. Er wird herumkommandiert, abgekanzelt und dann wieder als der letzte Vertraute hofiert, je nach Stimmungslage der verwöhnten Frau. Er hängt an ihren Lippen, ist zärtlich besorgt und zieht sich verletzt zurück, wenn es wieder eine Abfuhr gegeben hat.
 
"Man muß die Künstlichkeit wie einen Schutzschild vor das Leben halten" - dieser Ausspruch Marlene Dietrichs steht als Motto im Programmheft, und diesem Leitfaden folgt das Stück. Aber immer wieder kommt die schnoddrige Schönebergerin zum Vorschein, der graue Engel, der sich und anderen nichts vormacht und nichts schenkt. Und dann wieder Melancholie angesichts schwindender Schönheit, schwindenden Lebens: "Wieviel Text habe ich noch?"
Zum Schluß geht ihr dann der Text aus. Nichtsdestotrotz singt uns Agnes Hilpert, vom Typ her eher Greta Garbo als Marlene Dietrich, noch einige der bekannten Chansons und erhält viel Beifall.
 
Beide Protagonisten, Agnes Hilpert als der graue Engel und Urs Werner Jaeggi als Konstantin, vermögen eine dichte Atmosphäre herzustellen und überzeugen in der Darstellung von Marlene Dietrichs letzten Tagen, wie sie hätten sein können. Durchaus sehenswert!

Sigrid Wiegand
 
Weitere Vorstellungen:
10., 12., 26. und 27. Juni,
jeweils 20 Uhr
Kleines Theater
am Südwestkorso 64
Berlin-Friedenau
Kartentelefon: 030/821 20 21
Mo-Fr 11-14 , Mi-So 18-20 Uhr
 
Online-Bestellung: Info@Kleines-Theater.de

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