Ingrid und Armin Walther verabschieden sich - ein Stück Zeitgeschichte an der Bismarckstraße


Kein leichter Abschied


Lassen Sie uns an dieser Stelle unsere Redaktionskollegin Snjezana Kohn zitieren, die im September 2004 in der Stadtteilzeitung schrieb: Wenn ein Buchhändler über vier Jahrzehnte an einem Platz überdauert, dann hat er nicht nur Bücher verkauft, sondern auch Geschichte geschrieben. ... Ingrid und Armin Walther, beide Buchhändler von Beruf, haben ihren Laden 1969! eröffnet und erfolgreich geführt. Durch ihr persönliches Engagement haben sie das Leben im Kiez mitgestaltet, mit Anwohnern gemeinsam Weihnachten gefeiert, den Alltag gelebt, über Politik diskutiert,...eben alles, was man so mit den Nachbarn zu tun pflegt. Mit anderen Worten, die Walthers sind eine Institution in ihrem Kiez. Die Nachbarschaftskultur an der Bismarckstraße trägt ihre Handschrift. Das soll sich jetzt ändern?! Damals war Walthers Buchhandlung von der Schließung bedroht. Eine Anwohnerinitiative kämpfte erfolgreich für den Erhalt des Geschäftes. Jetzt wollen die Walthers aufhören. Warum, weshalb, wieso und wie sie Zeit als Buchhändler an der Bismarckstraße erlebt haben, erzählen sie uns selbst:

Liebe Kunden, liebe Leser,

immer wieder begegnen uns in diesem Jahr erstaunte Kunden, die sagen: "Was? Vierzig Jahre? Da war ich noch gar nicht geboren / da bin ich gerade eingeschult worden / da haben meine Eltern gerade geheiratet usw." Und uns beiden geht es genauso.

Schon vierzig Jahre vergangen?
Damals waren wir die Jüngsten - heute sind wir die Ältesten! Einige von Ihnen werden sich sicher erinnern: 1969 war unser Teil der Bismarckstraße eine lebendige Einkaufsstraße mit vielen Geschäften. Wir hatten eine Bäckerei, (heute "Rossini"), ein Lederwarengeschäft, eine Wäscherei, ein Reisebüro (HARU), eine kleine Volksbankfiliale, Optiker, Schreibwarenladen, einen kleinen Supermarkt (Carisch Kaffe), ein Wäschegeschäft.  Gegenüber gab es einen Blumenladen, einen Süßwarenladen ("Bonbonniere"), die Apotheke, (die ja heute noch da ist); um die Ecke Tabakwaren, Fischhandel und Tierhändler.

Wir waren da die Jüngsten, als wir 1969 den schon existierenden Buchladen kauften.
Mit einem Kredit, der damals "Einrichtungsdarlehen" hieß, mit 1 % (!) verzinst war und 10 Jahre Laufzeit hatte, kauften wir die Buchhandlung. Sie enthielt neben dem üblichen Bücherangebot noch eine kleine Leihbücherei mit Krimis und lauter Büchern, von denen wir noch nie etwas gehört hatten. Reizende alte Damen kamen wöchentlich, um nach Neuigkeiten zu gucken und nahmen dann oft reißerische Krimis mit - für 35 Pfennig Leihgebühr!
Natürlich änderten wir einiges, stellten andere Bücher ins Fenster als vorher und wollten das verkaufen, was wir wichtig und gut fanden.

Das war 1969 natürlich auch oft etwas Politisches. In dieser Zeit des Umbruchs war die politische Auseinandersetzung nicht immer fein, nachts wurde uns zweimal die Fensterscheibe eingeschlagen - mit der Aufforderung: "Geht doch nach drüben!"

Es gab aber viel Unterstützung, die anderen Ladenbesitzer sprachen uns Mut zu, viele Kunden brachten Blumen und sagten: "Lassen Sie sich nicht unterkriegen!" Wir hatten bald viele Stammkunden, mit denen wir angeregte Gespräche über Literatur führten, mit vielen befreundeten wir uns, die Kinder kamen gern nach der Schule vorbei.

Als unsere Tochter eingeschult werden sollte - und das hieß natürlich die Sachsenwald-Grundschule - fanden wir in der Nähe des Ladens eine Wohnung, so dass sich alles gut organisieren ließ, und wir wurden richtige Steglitzer.

Das Geschäft ernährte uns drei und wir waren immer froh, mit netten Kunden für uns allein arbeiten zu können. Und die hielten zu uns!
Als in der Schlossstraße eine große Buchhandlung eröffnet wurde, gingen manche dorthin, um sich zu informieren und bestellten die Bücher dann bei uns. Und das ist auch heute noch so.

Veränderungen
Im Lauf der Jahre veränderte sich dann die Straße. Die kleinen Geschäfte verschwanden nach und nach - bis auf uns. Aber dann wurde uns gekündigt, die Pizzeria nebenan sollte vergrößert werden.
Der Hausbesitzer bot uns einen doppelt so großen Laden an, und nach 31 Jahren (auf 36 qm) bezogen wir am 25.8.2000 die Nr. 4 in der Bismarckstraße.
Endlich mehr Platz! Zwei Schaufenster zum Dekorieren, viel Fläche vor der Tür, wir freuten uns!
Wir wussten zwar, dass sich der Hauseigentümer schon länger um einen großen Supermarkt als Mieter bemühte, aber das nahmen wir nicht ernst.

Im Sommer 2004 wurde es ernst. Es kam die Kündigung nach nur vier Jahren! Es folgten aufregende und bedrückende Monate für uns alle. Diesen Supermarkt wollten viele Leute hier nicht haben. Es bildete sich eine Initiative, die Protestunterschriften sammelte, die Lukas-Kirche war auf unserer Seite, die Berliner Abendschau berichtete von der Verdrängung der insgesamt vier Läden, der Steglitzer Baustadtrat musste sich erklären. In dieser Zeit haben wir so viel Solidarität und Aufmunterung erfahren, wir waren nicht allein mit dem Problem!

Glück im Unglück
Und dann ergab sich für uns ein wunderbarer Ausweg: gegenüber an der Ecke Bismarck- / Sachsenwaldstraße konnten wir uns mit dem Elektrohändler Herrn Staebler den Laden teilen.
Wir trafen auf sehr kooperative Vermieter, die sogar bereit waren, den Laden für uns umzubauen - und so endete das Jahr 2004 für uns doch noch gut. Mit Hilfe von vielen Freunden bewältigten wir den Umzug und konnten am 2.1.2005 wieder eröffnen.
Wir waren sehr glücklich und finden auch heute noch, dass dieser Laden von allen der Schönste ist. Nun haben wir drei Schaufenster, noch mehr Platz vor der Tür, viel Helligkeit und eine schöne Empore im Laden.
Und Sie alle sind mit uns gezogen, haben gelobt, bewundert und sich mit uns gefreut - wie eine große Familie.

Resümee
Wir haben das alles aufgeschrieben, um das Verstreichen der Zeit etwas einzufangen. Wir haben die Kinder groß werden sehen, die heute schon wieder Kinder haben und waren so manches Mal auf dem Friedhof, wenn jemand beerdigt wurde, den wir schon lange kannten. Viele sind weggezogen, manche sind wiedergekommen. Und wie schon gesagt: damals waren wir die Jüngsten, heute sind wir die Ältesten!

Wir werden in diesem Jahr 67 und 62 Jahre alt und haben inzwischen zwei Enkelkinder. Wir arbeiten immer noch gern in unserem Beruf und lieben die Gespräche mit den vielen Menschen, interessieren uns immer noch für Bücher und die vielen Neuerscheinungen, versäumen keine Sendung über Literatur im Fernsehen - und doch werden wir in diesem Jahr aufhören. Wir haben eine sehr gute, freundliche und kenntnisreiche jüngere Kollegin gefunden, die den Laden zum 1.6.2009 übernehmen wird. Wir sind sicher, dass Sie alle weiterhin eine engagierte Beratung bekommen werden und Frau Lang Ihnen gefallen wird.

Der Abschied fällt uns nicht leicht, vierzig Jahre lang war das unser Leben.

Wir sind froh und dankbar, dass wir unseren Beruf so ausüben konnten - und das verdanken wir Ihnen und dem anteilnehmenden Kontakt, Ihrer Treue zu unserem kleinen Laden und Ihrer Unterstützung in schönen und schwierigen Zeiten.

Wir trennen uns schwer - aber wir hoffen, Sie alle von Zeit zu Zeit, wenn auch in anderen Zusammenhängen, immer mal wieder zu treffen.

Danke für die gemeinsam verlebten vierzig Jahre!
Sie alle werden uns fehlen.

Ingrid Walther
und Armin Walther

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