Foto: Pressestelle des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg
Keine Gewalt im Namen der "Ehre" Dieser
diesig und kalte Februarmorgen war wie gerufen, um dem Gedenken an
Hatun Sürücü den gebührenden Rahmen zu geben. Ihr eigener Bruder hatte
vor vier Jahren mit drei Schüssen dem Leben und damit dem Recht seiner
Schwester auf Selbstbestimmung ein Ende gesetzt. Deren Unglück begann
mit einer Zwangsheirat, die bereits nach kurzer Zeit scheiterte. Nach
der Trennung von ihrem Mann begann für sie ein mühevoller
Selbstfindungsprozess. Dieser mutige Weg aber sollte nach dem Willen
des Täters mit offensichtlicher Billigung seiner Familie gewaltsam sein
vorzeitiges Ende finden. Vor der Einmündung der Oberlandstraße in die
Silbersteinstraße, am Übergang von Tempelhof nach Neukölln, liegt die
Siedlung Oberlandgarten im friedlichen Stil der Gartenstadtarchitektur
der zwanziger Jahre. An der Ecke Oberlandstraße liegt nun jener schwere
Gedenkstein, der an die hier vergeblich gewordene Hoffnung auf ein
selbstbestimmtes Leben der Hatun Sürücü erinnern soll, als stummer
Protest gegen Gewalt.
Das allerdings scheint so manchem nicht zu
gefallen. So berichten Anwohnerinnen immer wieder von mutwilligen
Zerstörungen der Zeichen des stillen Gedenkens und der Erinnerung an
diese mutige Frau. Diesem Bemühen um Erinnerung galt auch die
vormittägliche Veranstaltung am Tatort. Bemerkenswert war die frühe
Ankunft einer amerikanischen Journalistin. Sie sei auf der Spurensuche,
teilte sie mit, denn sie plane ein Buch über das Opfer. Als sich der
Gedenkort langsam füllte (über 100 Personen), hängten sich viele die
mitgebrachten Meinungsschilder um. Dort war zu lesen: „FRAUEN WOLLEN IN FREIHEIT UND WÜRDE ÜBER IHR LEBEN BESTIMMEN“
Und
es wurde auf gleichartige Vorkommnisse in Schweden, Pakistan und im
Libanon verwiesen. Wie später der Bürgermeister von
Tempelhof-Schöneberg, Ekkehard Band, in seiner Ansprache berichtete,
zählt eine jüngere UN-Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen weltweit
40.000 Opfer. Und auch Deutschland hat bereits über 40 Opfer dieses
archaischen Idiotismus zu beklagen. Band erklärte in seiner Rede, dass
der zu beklagende Mord an Hatun Sürücü als Ausdruck einer nicht
gelungenen Integration derjenigen Teile unserer Gesellschaft
aufzufassen sei, die von Bildung und Ausbildung noch nicht erreicht
werden konnten, denen daher Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe
bislang verschlossen geblieben sind.
Sybille Schreiber für die
„Terre des Femmes“ rief alle zu einer Schweigeminute auf. Sie
wies auf den Zusammenhang zwischen dem Gewalt auslösenden Mechanismus
und der besonderen Situation der Ausgrenzung hin. Die Täter griffen
deswegen zur Gewalt gegen die Frauen, weil diese das Einzige seien,
worüber sie in ihrem eingeengten Lebensumfeld glauben Herrschaft
erlangen und verteidigen zu können. Die durch ihr rückhaltloses
Engagement für betroffene Frauen bekannt gewordene Rechtsanwältin
Seyran Ates wies zudem auf das Versagen des deutschen Rechtsstaats hin,
ihre Mandantinnen und sie selbst vor der Gewaltandrohung durch Männer
aus dem Umfeld angemessen zu schützen. Sie könne daher ihren Beruf
nicht mehr ausüben und lebe nunmehr anonym und von ihren Büchern, die
sich mit den Hintergründen befassen. Es bildeten sich danach
kleine Gruppen von Beteiligten und Journalisten zum Austausch. Eine
Abordnung vom Türkischen Bund, die in einem bewegenden Auftritt einen
gemeinsamen Kranz mit dem Verein „Hatun und Can“ niedergelegt hatte,
schlug die Umbenennung einer Strasse nach dem Opfer vor. Auf ihrer
Kranzschleife war zu lesen: „Du bist in unserem Herzen“.
Hatuns
Sohn Can befindet sich übrigens nach Aussage der Verwaltung nicht mehr
in der Großfamilie des Opfers, wo er zunächst Aufnahme gefunden hatte.
Das zuständige Familiengericht hat in einem rechtsgültigen Urteil
verkündet, ein Verbleib in dieser Familie sei von der Mutter Hatun
nicht gewollt worden. Can lebt seitdem mit einer neuen Identität in
einer Pflegefamilie in einem anderen Bundesland. Rund um
die Uhr können sich Betroffene an den Jugend- bzw. Mädchennotdienst
wenden. Darüber hinaus steht die Kriseneinrichtung „Papatya“ zur
Verfügung. Sechs Frauenhäuser und mehr als 40 Zufluchtswohnungen bieten
betroffenen Frauen eine sichere Unterkunft. Neben zahlreichen
Anti-Gewalt-Beratungsstellen bieten die bezirklichen Migrations- und
Gleichstellungsbeauftragten Hilfe an. Der Arbeitskreis gegen
Zwangsverheiratung informiert zudem Schulen und Jugendämter. Soforthilfe: BIG - Hotline: 611 03 00 Mädchennotdienst: 61 00 63 Jugendnotdienst: 61 00 62: beratung@papatya.org www.sibel-papatya-org
Ottmar Fischer
. März 2009 Stadtteilzeitung
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