Im Portrait: Dr. Ilona Zeuch-Wiese

Abseits der Pfade zum Erfolg

„Ich wusste immer, was ich nicht wollte!“ Dieses Lebensmotto führte die Bildungshistorikerin Dr. Ilona Zeuch-Wiese auf verschlungenen Wegen durch ihr berufliches Leben. Sie ergriff Chancen, die sich abseits der Pfade boten, entwickelte sie und verabschiedete sie auch wieder. Nicht immer ganz entspannt, es gab auch Umbrüche und Zeiten der Zweifel, der Orientierungslosigkeit. Aber das ist ein Preis, den die lebhafte und kommunikative gebürtige Berlinerin gerne bezahlt hat. Im Gegensatz zu ihrer beruflichen „Abenteuerlust“ steht ihr Privatleben: Seit über 47 Jahren ist sie mit dem Erziehungswissenschaftler und Verleger Dr. Klaus Wiese zusammen, seit 36 Jahren mit ihm verheiratet. 2006 ging sie in den beruflichen Ruhestand, aber ihre vielfachen Interessen, zu denen auch ihre zweijährige Enkeltochter Ella zählt, halten sie weiterhin in Aktion.
 
Die erste vage Berufsidee „Hochfrequenztechnikerin“ entsprang dem Berufsfeld ihres Vaters, Inhaber eines kleinen Elektrogeschäftes. Realitätsnaher machte sie dann aber eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin. Zwischen Berufsausbildung und Berufstätigkeit klaffen oft Welten: Kaum hatte sie ihren ersten Job begonnen, in einem, heute würde man sagen „Großraumbüro“, stellte sie fest: „Das will ich nicht fürs ganze Leben“ - und kündigte, um ihr Abitur nachzuholen.  

Das war Anfang der 60er Jahre. Der von dem Pädagogen Georg Picht geprägte Begriff der „Deutschen Bildungskatastrophe“ sorgte für Aufruhr, der „Zweite Bildungsweg“ wurde deutlich breiter. Ilona Zeuch-Wiese ergriff ihre Chance, besuchte ein Abendgymnasium und machte 1969 ihr Abitur. Über den Kontakt ihrer Eltern zu dem Architekten Fritz Bornemann (der z.B. die Deutsche Oper an der Bismarckstraße baute) fand sie auch eine Finanzierungsmöglichkeit: tagsüber arbeitete sie als technische Zeichnerin in Bornemanns Atelier in Schöneberg, abends ging sie zur Schule. „Das war eine tolle Zeit“, schwärmt sie heute noch. Sie zeichnete, arbeitete mit an Wettbewerbsmodellen, inspizierte Baustellen und knüpfte jede Menge Kontakte.

Nach dem Abitur entschied sie sich für ein Lehramtsstudium. Die Studentenrevolte war in vollem Gange, Ilona Zeuch-Wiese mischte mit und wurde bereits im ersten Semester zur Vorsitzenden des AStA gewählt. Die Vorstellung, nach Abschluss des Studiums in einem Schulbetrieb eingegliedert zu sein, behagte ihr absolut nicht. Also ergriff sie eine neue Chance: Die Pädagogische Hochschule (PH) befand sich in Auflösung, sie sollte in die Berliner Universitäten eingegliedert werden. Ilona Zeuch-Wiese wurde Planungsassistentin für die Umstrukturierung. In dieser Zeit entdeckte sie ihre Talente: Organisation, Kommunikation, Motivation, Fundraising. Nach Beendigung der Integration 1980, die PH war aufgelöst, suchte sie eine neue Aufgabe.

Sie promovierte an der TU. Mit ihrer Dissertation über ein Ausbildungskonzept für preußische Volksschullehrer zu Beginn des 19ten Jahrhunderts griff sie ein Thema auf, das ihr einige Jahre davor „auch so über den Weg“ gelaufen war: Die Ausstellung in der Akademie der Künste „Puppe, Fibel, Schießgewehr“ über das Kind im kaiserlichen Deutschland. Nach Beendigung der Ausstellung wurde ein fester Ort für die Sammlung von Kinderspielzeug und Schulmaterialien aus dem 19ten Jahrhundert gesucht. Die Idee des Aufbaus eines Pädagogischen Museums entstand, die „Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum“ wurde gegründet - und Ilona Zeuch-Wiese machte mit. Im Zuge der Vorbereitungen für die 750Jahrfeier Berlins sollte auch etwas Historisches aus dem Bereich Erziehung präsentiert werden. Die Arbeitsgruppe bewarb sich mit einem überzeugenden Konzept zur Geschichte der Berliner Volksschule von 1827 - 1981 und erhielt die Finanzierung für die Ausstellung „Hilfe Schule“, die 1981 in einem leerstehenden Schulgebäude in der Klixstraße in Schöneberg mit großem Erfolg gezeigt wurde. Dokumentation der Ausstellung, Herausgabe des Kataloges und eines in Zusammenarbeit mit Künstlern entwickelten Kinderbuchs zum Thema der Ausstellung - bei diesen Arbeiten war Ilona Zeuch-Wiese in ihrem Element. Eine Ausstellung der Arbeitsgruppe zur Volksschule im Nationalsozialismus folgte: „Heil Hitler, Herr Lehrer!“, gezeigt 1983 in der Schule am Barbarossaplatz.

Nach der Promotion 1983 kreuzte wieder etwas ihren Weg, das ihr Interesse weckte: Filme. Über Kontakte ihres Mannes wurde sie Regieassistentin des Filmemachers Christian Ziewer. Ohne jede Vorkenntnisse sprang sie ins kalte Wasser und stellte fest, dass sie sich inmitten der Proficrew ganz gut behaupten konnte. Sie übernahm weitere Aufträge als Regieassistentin und auch als Aufnahmeleiterin. Die Arbeit war zwar spannend, bot ihr aber zu wenig für den Kopf. Wieder gab es einen neuen Weg: Pressearbeit für die FBK (Freie Berliner Kunstausstellung), Organisation von Kunstausstellungen für die Staatliche Kunsthalle Berlin.  
Nach diesen turbulenten Jahren fand Ilona Zeuch-Wiese ihren Traum-Job - ohne je von ihm geträumt zu haben: Leiterin der Presseabteilung des BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung). Pressearbeit, Organisation von Tagungen, Messepräsentation, Betreuung ausländischer Gäste, zusammen mit einem von ihr geführten Team - das war passgenau für ihre Talente.

Und die kann sie auch jetzt im Ruhestand weiterhin einbringen. Angeregt durch die vom Schöneberger Kunstamt durchgeführte Aufarbeitung der Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung der jüdischen Bewohner des „Bayerischen Viertels“, ihrem „Kiez“, recherchierte sie das Leben ihrer jüdischen Urgroßmutter und dokumentierte es in einem Album. Das Schicksal von Bertha Markus wird in der aktuellen Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg neben den Lebensgeschichten weiterer 125 jüdischer Bürger aus Schöneberg und Tempelhof vorgestellt. Als Vorstands-mitglied des gemeinnützigen Fördervereins „frag doch!“, der die Ausstellung ideell und finanziell unterstützt, engagiert sie sich für den dauerhaften Verbleib und die ganzjährige Öffnung der Ausstellung im Rathaus Schöneberg.

Rita Maikowsk

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März 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis