Berlin rundum: Grandiose Aussicht vom Gasometer


Mutige nach oben


Viele Berliner, insbesondere wir Schöneberger, kennen ihn noch in wechselnder Erscheinung: Je nach Menge des gespeicherten Gases füllte die teleskopartig ausfahrbare Glocke des Gasometers an der Torgauer Straße den Stahlkörper bis oben auf oder war kaum sichtbar unten. Seit Anfang der neunziger Jahre ist der ehemals für Haushaltsbedarf und Straßenbeleuchtung genutzte Niedrigdruckgasbehälter stillgelegt, sein Innenleben wurde ausgebaut und das übriggebliebene Stahlgerippe macht - zumindest aus der Ferne - einen fast fragilen Eindruck. Jetzt, beinahe 100jährig (er wurde 1910 fertig gestellt), erwacht er ganz anders zu neuem Leben: Er kann "erklettert" werden.

Die Idee, den Schöneberger Gasometer touristisch zu nutzen, Berlinern und Berlingästen eine Möglichkeit zu bieten, ihn zu erklimmen und damit eine etwas abenteuerliche Attraktion zu schaffen, kam der gebürtigen Potsdamerin Nadine Zache bei einer eher zufälligen "Eroberung" des Industriedenkmals im letzten Jahr. Mit dem Aufzug nach oben und dann runterschauen - derartige Möglichkeiten gibt es in Berlin viele. Aber selber die Höhe erklimmen und sich damit den spektakulären Rundblick auf die Stadt zu erarbeiten: das erinnerte sie an die legendäre Sydney-Harbour-Brücke, die ebenfalls mit einer "Klettertour" vermarktet wird, und sie hatte eine Vision.

Nadine Zache gründete die Erlebnis Sightseeing GmbH, erstellte ein Konzept, holte erforderliche Genehmigungen ein und suchte sich mehrsprachige und sportliche Profis für die touristischen Führungen. Die technische Sicherheit wurde von der Dekra geprüft, die Sicherheitsbestimmungen und -belehrungen für die Teilnehmer in Zusammenarbeit mit der Berufskletterschule Potsdam ausgearbeitet. Und sie fand ein Markenzeichen, das passte: climb Berlin. Seit April ist ihre Vision nun Realität: Wer sich den grandiosen Rundblick über Berlin nicht entgehen lassen möchte und weder Höhe  noch Treppensteigen scheut, kann eine geführte Tour auf den Schöneberger Gasometer buchen.    

Das Konzept entstand in Zusammenarbeit mit der EUREF AG, die auf dem historischen GASAG-Gelände rund um den Gasometer, immerhin ca. 62 000 qm, mit einem Kapital von 600 Millionen Euro ein Begegnungszentrum für Energieexperten aus aller Welt plant: Energie-Universität, Kongress- und Konferenzzentrum, ein Seminar-Hotel, Restaurants und Cafés. Der Baubeginn ist für Herbst dieses Jahres vorgesehen. Auch der Gasometer soll irgendwann in die Baumaßnahmen einbezogen werden, geplant ist im Innenteil ein transparentes Gebäude.



Ein etwas mulmiges Gefühl beschlich mich doch, als ich am Fuße des runden Stahlgerüstes in die Höhe schaute. Aber die Begeisterung der wieder gut gelandeten Teilnehmer der ersten Führung wirkte ansteckend, verscheuchte alle Zweifel und spornte an. Die Teilnehmerzahl der jeweiligen Gruppen ist aus Sicherheitsgründen auf 9 begrenzt, ein Guide begleitet die Gruppe. Die Besucher werden mit professioneller Bergausrüstung "an die Leine genommen" und bilden damit eine Seilschaft. Aber trotzdem: Etwas Mut gehört schon dazu und auf jeden Fall schwindelfrei sollte sein, wer die spektakuläre Aussicht vom Schöneberger Gasometer, der zur Zeit seiner Errichtung einer der drei größten Gasbehälter Europas war, genießen möchte. Über 456 Stufen, die sich an der südlichen Seite des Stahlgerüstes serpentinenartig in die Höhe schrauben, gelangt man auf den obersten Rundgang. Keine Angst, die Stufen sind nicht "durchsichtig", man hat also schon das Gefühl "festen Boden" unter den Füßen zu haben. Aber auch nur unter den Füßen, denn rechts und links davon befindet sich (fast) nichts: Der ungehinderte Blick durch das Geländer und die Stahlstreben wird mit jedem Treppenabsatz staunenswerter.

Ganz oben dann der Laufsteg, man könnte ihn auch als runden "catwalk" bezeichnen, ist aber tatsächlich nichts für Menschen mit Höhenangst: Er besteht aus Gitterrosten, in 1,10 Meter Höhe begrenzt von einem Geländer, und wohin der Blick auch fällt: Man schaut in die Tiefe, satte 80 Meter, vom vierthöchsten Gebäude Berlins. Oder ungehindert in die Ferne und da bietet sich ein wahrhaft faszinierender Rundblick über die Stadt. Überwältigt von der Gesamtschau sucht man zunächst unwillkürlich nach markanten Bauwerken um sich zu orientieren. Aber bald schon folgt man den Erläuterungen des Guides, der mit sicherer Stadtkenntnis nicht nur die einzelnen Sehenswürdigkeiten erläutert sondern auch interessante Geschichten und witzige Anekdoten zu bieten hat, die selbst den Teilnehmern aus Berlin vielfach nicht bekannt sind. Und natürlich hält zumindest jeder Schöneberger nach dem "eigenen Dach" Ausschau, sprich seinem Wohnhaus.

Die Tour sollte nicht mal so nebenbei geplant werden, die Teilnehmer müssen solides Schuhwerk und wetterbedingt angepasste Kleidung tragen. Und ein Gläschen "Mut antrinken" geht auch nicht: ein kleiner Alkoholtest vor dem Aufstieg ist obligatorisch. Ganz preiswert ist die Tour nicht, aber für die rund 30 Euro bekommt man außer einem "Stadtabenteuer" noch wahlweise ein T-Shirt oder eine Basecap zur Erinnerung (und zum Angeben!). Für die ganz Tollkühnen gibt es auch Nachttouren, Aufstieg bei Sonnenuntergang, für den sicheren Abstieg werden die Teilnehmer mit Kopflampen ausgerüstet. Und ein ganz besonderes Highlight (im wahrsten Sinne des Wortes) ist in Planung: In luftiger Höhe freie Sicht auf das Spektakel der Pyromusikale, das im Juli auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof stattfinden wird.      

Also dann: Mutige nach oben, es lohnt sich. Und auf keinen Fall den Fotoapparat vergessen!

Rita Maikowski

Informationen und Buchungen unter www.climb-BERLIN.com oder Tel.: 01805/4470
Bildergalerie

.
Mai 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis