Die Deutschen und ihre Vornamen
Elektrisch und elektrisierend: Der Maoam – Effekt

Aus England wird berichtet, dass ein vier Jahre alter Junge mit dem Namen des alttestamentarischen Propheten Daniel nur wenig Begabung zur prophetischen Vorausschau gezeigt hat: Als er nach dem Spielen im Garten seinen eine Woche alten Cockerspaniel waschen wollte, suchte er sich als Behältnis für seine Aktion ausgerechnet die Kloschüssel aus und drückte in früher Begeisterung für die Segnungen der Sanitär-Technik die Spülungstaste.

Auch die herbeigerufene Feuerwehr konnte den solcherart verschwundenen Hund nicht wieder herbeischaffen. Erst ein Klempner fand ihn etwa 20 Meter vom Haus entfernt, in einem Abwasserrohr auf dem Rücken liegend, und befreite ihn nach vierstündiger Arbeit. In dankbarer Erinnerung an die Wiedergeburt einer Hoffnung erhielt der Hund den Namen der Klempnerfirma: „Dyno“

Mehr Wonne durch mehr Vokale
Diese trotz aller Besonderheiten althergebrachte Form der Namensgebung ist bei den Menschen im heutigen Deutschland aus der Mode gekommen. Nicht nur wird immer weniger mit Wasser getauft, sondern die Namen tragen auch immer seltener Bedeutungen wie etwa das Anrufen einer Hoffnung oder Schutzmacht. Im Zeitalter der allgegenwärtigen Pop-Musik kommt es nicht mehr so sehr auf den Gehalt, sondern auf Klang an, und dient dem Hervorrufen des Wohlgefühls.

Zusammenrottungen von Konsonanten wie in Brigitte sind daher am Aussterben, gebündelte Vokale dagegen wie in Luca auf dem Vormarsch. Zudem hat der Soziologe Jürgen Gerhards in seiner Studie „Die Deutschen und ihre Vornamen“ aus dem Jahre 2003 bereits für das vergangene Jahrhundert die Großtrends Individualisierung, Enttraditionalisierung, Säkularisierung und Globalisierung festgestellt. Die Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen, Damaris Nübling, hat nun in zwei Studien die These aufgestellt, dass sich seit langem ein weiterer Großtrend bemerkbar mache, nämlich die Geschlechterangleichung.

Hatte der Soziologe Gerhards in seiner Untersuchung die weiblichen Namen als auf die Vokale „a“ und „e“ endend definiert und die männlichen auf die Konsonanten „n“, „s“, „d“ und „r“, und demzufolge keine Verschiebung in der Geschlechtermarkierung feststellen können, entdeckte die Sprachforscherin Nübling nun, dass es bei dieser Frage eben nicht nur auf die Endungen ankommt. Zur Unterscheidung von „weiblich-weich“ und „männlich-hart“ richtet sie ihr Augenmerk nun vor allem auf den Zusammenhang von Vokalen und stimmhaften Lauten wie „l“, „m“, „n“, „j“ und die Entfernung zwischen Vokalen und stimmlosen Lauten wie „p“, „t“, „k“.



Das Allgemeine und das Besondere
In ihrem historischen Vergleich zeigt sich, dass vor allem in den siebziger und neunziger Jahren der Anteil der weichen Konsonanten und der Vokale in den Namen steigt. So verdrängt der in dieser Definition weichere Tim aktuell (10. Platz in der Beliebtheitsskala 2008) den 1975 beliebten Stefan, der als der Weichere den noch 1945 beliebten Günther verabschiedet hatte.

Zusätzlich in diese Richtung Weichspülung wirkt die von der Forscherin als „Maoam-Effekt“ bezeichnete Verdoppelung der Vokale in der Silbenfolge. Die ehemals einzigen Vertreter dieser Spezialität aus dem Jahre 1945, Marion und Michael, fanden in den siebziger Jahren vor allem durch Florian und Christian größere Verbreitung, und neuerdings blühen dafür Sophia und Elias. Für Forscherin Nübling steht der Trend zur Feminisierung der Jungennamen und damit zur Geschlechterangleichung somit fest: „Noch nie seit 1945 waren sich die Rufnamen beider Geschlechter strukturell so ähnlich wie heute.“

In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass die lieblichen Laute, wie das „l“, heutzutage lieber zwischen Vokalen stehen, wie in Julian, als bei Konsonanten, wie in Elke. Und gleichzeitig werden die Vornamen immer kürzer. Daher kann man durchaus, wie die Forscherin es auch tut, von einer maximalen Klanglichkeit auf einem minimalen Namenkörper sprechen. Zu Gehör kommt demnach der schwimmende Akkord auf der E-Gitarre, und gesungen wird von der Erschaffung Adams aus der Rippe Evas.

Immerhin gibt es in aller deutschlandweiten Einheitlichkeit immer noch (oder bereits wieder?) lokale Besonderheiten. Hört man in Prenzlauer Berg auf den Spielplätzen häufig von Wilhelm, Otto und Konrad, erscheinen in Tempelhof-Schöneberg unter den beliebtesten Rufnamen eigenwilligerweise Emma, Emilia und Charlotte. Was hat das wohl zu bedeuten?

Ottmar Fischer


Oktober 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis