Orte und Plätze     von Marina Naujoks


Seemann, lass das Träumen: Der Tempelhofer Hafen


Ist es nicht immer wieder aufregend, am Hafen zu stehen, einzukaufen oder dem Handel und Wandel anderer Menschen zuzusehen? Doch wo ist der nächste Hafen? Na, ganz in der Nähe, in Tempelhof an der Ullsteinstraße bzw. Ordensmeisterstraße. Im Frühjahr wurde dort ein Einkaufszentrum am Hafenbecken eingeweiht, endlich sollte Schluss sein mit dem Dornröschenschlaf nach Aufgabe der eigentlichen Hafennutzung oder, schlimmer noch, mit der Zwischenlagerung von Müll.

Das Shopping-Center Tempelhofer Hafen soll der neue städtische Mittelpunkt für die angrenzenden Wohnquartiere am Tempelhofer Damm sein, denn die in den siebziger Jahren errichtete, benachbarte Markthalle ist schon lange aus verschiedenen Gründen ein Problemfall. Erwartungsfroh ging ich auf Erkundungstour, freute mich auf Eisessen am Wasser und Blusenkauf gegenüber der großen Schrift am Erweiterungsbau des Ullsteinbaus: "Modezentrum Berlin". An diesem Tag begann zufällig der (inoffizielle) Sommerschlussverkauf (Man erinnere sich nur an das Gewühle in früheren Jahren!). Hier hätte schon ein bisschen quirliges, urbanes Leben wie am Spreeufer in Mitte meine Erwartungshaltung erfüllt. Stattdessen betrat ich ein Raumschiff. Keine Fenster, sondern künstliche Belichtung und Belüftung. Zwei Etagen. Kaum Menschen. Alles wie überall: Die Reihenfolge der Läden nach Schema, von A wie Ankermieter (So heißt in der Fachsprache der jeweilige Supermarkt am Ende der Passage, irgendwie müssen die Kunden ja gezwungen werden, dort durchzugehen) bis Z wie Zugang zum Parkhaus. Freie Sicht oder wenigstens ein Durchblick zum Hafenbecken oder zur Ordensmeisterstraße? Denkste Puppe!

In den Boden eingelassene Pflastersteine und Schienen sowie rustikale Umrahmungen an den Ladenfronten sind eine kleine Reminiszenz an das alte Speichergebäude, das vorher hier stand. Sie künden von dem Bemühen der Denkmalschutzbehörde, den Ort mit seiner ursprünglichen Nutzung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Aber offensichtlich hatte sich der Investor mit seinem "Sobauen-wir-überall-Entwurf" durchgesetzt und wollte sich vom "Genius loci" nicht inspirieren lassen.



Dass man mit alten Häfen und Industriebrachen auch anders umgehen kann, sieht man in Tegel (Auswärtige Beispiele wie Hamburg und London wage ich nicht anzuführen). Dort wurde schon vor zwanzig Jahren im Rahmen der Internationalen Bauausstellung die Umgestaltung des Hafenbeckens vorgenommen. Aber bei uns in Tempelhof fehlte wohl ein "Masterplan" für das Hafenareal, wie er in Tegel vorlag? Der kalifornische Architekt Charles Moore gewann damals den Wettbewerb. Die dort ausgeführte Bebauung erinnert zwar wenig an die Vergangenheit, setzte aber neue Maßstäbe für "Wohnen und Leben am Wasser". Trotz Zeitverzögerungen bei der Durchführung - die künstliche Insel wird erst jetzt bebaut - ist das Projekt immer noch beispielgebend.

Die Parallele zu Tegel drängt sich auch deswegen auf, weil der Borsig-Turm (der zwar nicht am Hafen steht) und das Ullstein-Haus vom selben Entwurfsverfasser stammen: Eugen Schmohl. Seine Industriebauten im expressionistischen Stil waren in den zwanziger Jahren Ausdruck des herrschenden Zeitgeistes.



Habe ich nun am Hafen etwas konsumiert und so den allseits erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung mit einem kleinen Beitrag unterstützt? In die Parfümerie ging ich mit dem festen Vorsatz, einen Gutschein einzulösen, den ich seit Weihnachten in der Schublade hatte. Aber bei zwei Sicherheitskräften und nur einer Verkäuferin im Laden verging mir die Lust, noch schöner zu werden. Zum Schluss kehrte ich auf der anderen Seite des T-Damms in ein Café auf dem Gelände der guten alten UFA-Fabrik ein. Die UFA-Fabrik war ein Projekt, das seinerzeit für Furore sorgte und heute an die aufregende, alte Zeit erinnert. Aber das ist eine andere Geschichte...

Marina Naujoks

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September 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis