Betreutes Wohnen in Familien


Peter und das blaue Haus


Auf den ersten Blick gleichen sich die dicht an dicht stehenden Reihenhäuser wie ein Ei dem anderem. Je näher man allerdings kommt, desto klarer wird, dass es durchaus Unterschiede gibt. Manche Häuser wirken älter, manche frisch renoviert, manche haben hübsch bepflanzte Vorgärten, manche sind beige und manche bunt. Ein Haus ist blau und tanzt allein dadurch schon ein wenig aus der Reihe.

In diesem Haus wohnen Hannelore Labocha und Reiner Karg. Seit anderthalb Jahren haben sie einen Gastbewohner. Peter ist Mitte fünfzig und arbeitet in der Landschaftsgärtnerei einer Behindertenwerkstatt. Im Gespräch ist er eher zurückhaltend, aber von seinem Alltag erzählt er gerne. Stolz beschreibt er, wie er das so macht, wenn er morgens mit dem Bus in die Werkstatt fährt. Hannelore, wie er seine Gastgeberin nennt, hat ihm genau aufgeschrieben, welche U-Bahn und welchen Bus er nehmen muss, wenn er seinen Vater im Norden der Stadt besuchen will. Diesen Zettel hat er immer bei sich, sonst verirrt er sich womöglich. Das ist ihm ohne Zettel schon einmal passiert, da musste er dann zu Fuß nach Hause gehen. Wahrscheinlich ist er viele Stationen zu früh ausgestiegen - war aber nicht schlimm, denn er hat den Weg ja gefunden und geht ohnehin gerne spazieren.
Früher lebte Peter in der Wohngruppe, die Labocha als Heilpädagogin leitete. Sie kennen sich seit zehn Jahren. "Ich wusste, dass der Peter sich schon lange gewünscht hat, alleine in einem Zimmer zu wohnen. Er hat im Heim ja ein Zweierzimmer gehabt. In der Gruppe hat er sich nicht so wohl gefühlt!", erzählt sie. "Nachdem ich dann in Rente ging, hatte ich die Idee, dass Peter hier bei uns wohnen könnte. Wir haben ja den Platz!" Es hatte früher einmal einen Versuch gegeben, Peter im betreuten Wohnen unterzubringen - in einem eigenen Apartment mit regelmäßiger aber nicht täglicher Betreuung. "Das hat nicht geklappt, weil Peter einfach mehr Hilfe im Alltag braucht!"

Mag sein, dass es Labocha und Karg leichter fiel als anderen, auf die Idee zu kommen, einen be-hinderten Menschen in ihr Haus aufzunehmen. Beide kennen vie-le Heimbewohner und deren Si-tuation. Allerdings ist es ja nicht so, dass jeder, der im sozialen Be-reich arbeitet, privat einen Heim-bewohner aufnimmt. Die Ent-scheidung ist deshalb keine be-rufliche, sondern eine persönliche gewesen. Um zusammen zu leben, muss man sich gut verstehen und mögen. Einer professionellen Ausbildung bedarf es nicht, um im Alltag mit Peter um-zugehen. Peter hat auch schon zwei Wochen bei Freunden der Familie verbracht. Das hat prima geklappt, da gab es keine Pro-bleme, Peter hat sich wohl ge-fühlt und die Freunde würden das auch wieder machen.

Dass viele, auch die Freunde zögern, es ihnen gleich zu tun und jemanden aufzunehmen, sei verständlich. "Viele überlegen eben zuallererst, ob und wie lange sie die Verantwortung auf sich nehmen können. Wie lange ich es machen kann, darüber kann ich mir aber doch nicht jetzt schon den Kopf zerbrechen! Wir können doch alle nicht in die Zukunft sehen!", sagt Hannelore Labocha gelassen. Die Verantwortung für den Gastbewohner übernimmt die Familie ja auch nicht komplett allein. Ein Vertrag mit dem Team von BWF Berlin regelt die rechtlichen und organisatorischen Fragen. Die Mitarbeiterinnen kümmern sich auch um Lösungen, zum Beispiel im Krankheitsfall.

Seinen Vater und seinen Bruder besucht Peter zweimal im Monat. Das Verhältnis zwischen Gastfamilie und Herkunftsfamilie ist sehr gut. Ehemalige Mitbewohner aus dem Heim haben Peter besucht und viele wünschen sich, auch so zu wohnen. Labocha kann sich das für einige Heimbewohner sehr gut vorstellen. Die Art der Behinderung oder die Krankheitsdiagnose sage nicht unbedingt etwas darüber aus, inwiefern jemand für diese Art des Zusammenlebens geeignet ist. "Manche sind sicherlich wegen einer hohen Kontroll- und Pflegebedürftigkeit im Heim besser versorgt. Uns war wichtig, dass wir den Peter gut kennen und wussten, dass er selbstständig ist. Jemanden, der völlig abhängig von uns wäre, hätten wir nicht aufnehmen können!"

Die Nachbarn in den anderen Reihenhäusern seien zuerst ein wenig pikiert gewesen. Da wäre schon deutlich geworden, welche Vorurteile es gegenüber geistig behinderten und psychisch kranken Menschen gäbe. Es sei deshalb gut, wenn diese nicht mehr nur im Heim lebten, denn durch das Miteinander würden viele Vorurteile und Ängste abgebaut, sagt Karg. Dass im blauen Häuschen nun auch Peter wohnt, daran haben sich die Nachbarn jedenfalls gewöhnt. Nachdem sie ihn kennengelernt haben, haben sie festgestellt, dass seine Anwesenheit durchaus Farbe ins Leben bringt.

Isolde Peter

Bei Interesse am "Betreuten Wohnen in Familien" wenden Sie sich bitte an:
BWF Berlin
Frau Pressmar und Frau Bohley,
Helmstr. 11, 10827 Berlin,
Tel: 030-21232271

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September 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis