Künstler im Kiez: Sabine Würich

© Sabine Würich, Dresden, Schillerplatz, 1992

"Der ferne Osten" - 20 Jahre Mauerfall

eine dokumentarische Bilderreise

Schwarzweißgraue Fotos: Die geometrisch eingefangenen Objekte ihres Projektes "Der ferne Osten" sind reduziert auf das Wesentliche - und entfalten gerade dadurch ihre Wirkung. Die Fotos des im September erscheinenden Buches von Sabine Würich erinnern fast an Industriefotografie. Aber der Schöneberger Fotografin geht es um etwas anderes. Ihre Fotodokumentation ist historisch politisch motiviert, sie erzählt mit den begleitenden Texten die deutsch-deutsche Geschichte unter einem ganz eigenen Aspekt. Und sie weckt Emotionen.

Geschichte und Geschichten aufzuspüren, unter speziellen Gesichtpunkten zu recherchieren und fotografisch zu dokumentieren hat die mit ihrer Familie seit einigen Jahren in Friedenau lebende Künstlerin immer schon bewegt. Auch ihre früheren Arbeiten beinhalten Geschichtsaufarbeitungen ganz eigener Art. Darunter das unter die Haut gehende Buch "Den Dom durften wir nie betreten": Fotoportraits mit biographischen Notizen und Interviewauszügen ehemaliger Zwangsarbeiter aus der Ukraine, Polen und Russland, die im zweiten Weltkrieg nach Köln verschleppt wurden. Die Fotos der in diesem Buch Porträtierten bestechen durch ihre ungekünstelte Klarheit: Sie zeigen Menschen, deren Gesichter ihre Geschichte nicht verbergen, und trotzdem geht von ihnen ein Strahlen aus. Das eindrucksvolle Buch gewährt nicht nur sehr persönliche Einblicke in die Lebensumstände der Porträtierten während ihrer Zwangsarbeitsjahre in Köln, sondern vermittelt auch Kenntnisse über die kriegsbedingten Zustände in den jeweiligen Heimatländern.    

Auch Orte haben ein Gedächtnis
Mit der Idee, dass nicht nur Menschen dazu befähigt sind, sich zu erinnern, sondern auch Gebäuden und Orten Erinnerungen immanent sind, verwirklichte Sabine Würich ein weiteres Projekt: "Das Gedächtnis der Orte". Auch darüber ist ein Buch entstanden, das mit Fotos und erläuternden Texten Orte nationalsozialistischer Verbrechen in Köln dokumentiert. In aufwendigen Recherchen lokalisierte und fotografierte die Künstlerin Orte, an denen Nazi-Verbrechen begangen wurden: Häuser, Parks, Hinterhöfe, Industriegelände, die Begleittexte schildern die dort jeweils verübten Taten - es zieht sich durch die gesamte Stadt. Ein Geschichtsstadtplan, der Orte, auch wenn sie heute anders aussehen, und Gebäude, die mittlerweile abgerissen wurden, wieder in das Blickfeld der Erinnerung rückt.

In ihrem neuen Buch "Der ferne Osten" folgt Sabine Würich erneut einer Grundidee, auch hier sind Gebäude ihr Thema. Es geht um die tragende Rolle, die in gesellschaftlichen Systemen der Architektur zukommt, den Umgang sowohl mit baulichen Strukturen als auch einzelnen Gebäuden bei gesellschaftspolitischen Umbrüchen und sie greift wieder den Gedanken des Gedächtnisses von Orten auf. 

Über 20 Jahre, von 1989 bis 2009 bereiste die Künstlerin immer wieder die innerdeutsche Grenze, fotografierte Wandel, Umstrukturierung, Demontage, Verfall und Neubau verschiedenster Gebäude und dokumentierte so die bauliche Umgestaltung des postsozialistischen Deutschlands. Zu ihrer ersten Reise an die innerdeutsche Grenze wurde sie inspiriert durch das Roadmovie von Wim Wenders: "Im Lauf der Zeit". In dem Film reist der Protagonist von Ort zu Ort entlang des Zonenrandgebietes. Er lebt davon, Filmprojektoren in aussterbenden lokalen Kinos zu reparieren. Sabine Würich war fasziniert von der ihr bis dahin unbekannten Gegend und beschloss, die Reise "nachzufahren". Im August 1989 verwirklichte sie diese Idee und machte die ersten Fotos in der Rhön. Es überkam sie eine Art Zeitreisegefühl, als wäre sie in die 50er Jahre versetzt worden, und sie konstatierte außerdem, dass sie im Schulgeschichtsunterricht eigentlich wenig über die DDR erfahren hatte. Damit war ihre Neugier geweckt und kurz nach dem Mauerfall, im Dezember 89, war sie bereits wieder dort unterwegs und startete damit ihre Langzeitdokumentation mit vielen weiteren Reisen, bei denen sie nicht nur fotografierte, sondern auch Interviews führte. Das anfängliche Fremdheitsgefühl fand seinen Ausdruck in dem Titel "Der ferne Osten".

Das Buch ist in Themenblöcke gegliedert, die fotografisch die innerdeutsche Grenze, SED-Diktatur, sowjetische Besatzung, DDR-Elite, Wohnungsbau in der DDR, Mauerfall, neue Architektur nach der Wiedervereinigung - um nur einige zu nennen - dokumentieren und mit Begleittexten erläutert werden. Was wurde dem Verfall preisgegeben, abgerissen, was umgestaltet, was wurde neu gebaut - und wie wird neu gebaut. Jedes politische System verwirklicht seine architektonischen Strukturen auf eigene Art, manifestiert nicht nur in Prachtbauten sondern auch im Wohn- und Alltagsbereich und der Pflege oder eben Nichtpflege des Bestandes seine Ideologie. Architektur - ein Symbol für das Machtgefüge der jeweiligen gesellschaftlichen Systeme. Das Fotobuch "Der ferne Osten" bietet eine faszinierende Langzeit-Dokumentation des sich wiedervereinenden Deutschland.    

Infos und Kontakt:
www.sabine-wuerich.de

Rita Maikowski

.
September 2009  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis