Pinel belebt die Ebersstraße und den alten Bahnhof Schöneberg


Einsteigen und nicht zurückbleiben!

Bis auf den weggefallenen Turm ist der alte Bahnhof in der Ebersstraße äußerlich unverändert geblieben, innerlich allerdings nicht. Im Erdgeschoss des imposanten, denkmalgeschützten Klinkerbaus ist heute ein Café-Restaurant, wie in vielen Bahnhöfen. Bei diesem fällt die Bedienung ins Auge, nicht nur die schmucken schwarzen T-Shirts mit blauer Aufschrift „Pinelli“, sondern auch deren Zahl ist ungewöhnlich, und das hat einen Grund: Das Restaurant wird geführt von der gemeinnützigen Pinel GmbH, gegründet 1971 – zunächst als Verein - in dem Bestreben, psychisch Kranken so weit wie irgend möglich eine Teilnahme am alltäglichen gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Pinel war einer der Wegbereiter für Bestrebungen, Heime für psychisch Kranke durch ambulante Betreuung zu ersetzen. Abgesehen von den Kosten sind Heime nicht zweckmäßig, weil sich dort das Krankheitsbild durch Isolation und mangelnde Anregung oft eher verschlechtert. Heute versuchen Staat und mehrere gemeinnützige Träger, vielfältige Kontakte zwischen psychisch Kranken und scheinbar Gesunden herzustellen. Dabei erhebt sich die Frage, wie man Krankheit überhaupt definiert. Schließlich hat jeder Mensch bestimmte Eigentümlichkeiten, kommt mit manchen Situationen schlecht zurecht und hat seine individuellen Belastungsgrenzen. Ein bisschen gestört ist in dieser verrückten Welt ja wohl jeder. Die Hilfe kann vorübergehend oder ständig nötig sein, und sie hat bei jedem Betreuten ein anderes Profil. Bei Pinel reicht das Angebot von ambulanter Pflege, betreutem Wohnen in Einzelwohnungen oder Wohngemeinschaften, Tageszentren mit offenem Programm bis zu Arbeitsprogrammen.



Das Restaurant Pinelli gehört neben dem Zeitungskiosk im Bahnhof, der Wäscherei „Mangelware“ in der Ebersstraße 72, dem Veranstaltungsort Pinellodrom in der Dominicusstraße 5-9 und dem Second-Hand-Laden in der Feurigstraße zum Arbeitsprogramm des Trägers in Schöneberg. Dabei werden die KlientInnen in einem geschützten Arbeitsbereich eingesetzt, im Pinelli nicht nur als Bedienung, sondern auch in der Küche, unter fachkundiger Anleitung. Das Ergebnis ist ein schmackhaftes, recht preiswertes Speisenangebot.

Martina (Name geändert), die im Pinelli nur einmal in der Woche für vier Stunden bedient, sagt, die Bewährung in der Arbeit habe ihr mehr Selbstsicherheit gegeben, auch im täglichen Leben. „Der Zuverdienst von 1,50 EUR pro Stunde zusätzlich zur Grundversorgung ist zwar nicht viel, aber immerhin ein Taschengeld, und außerdem bin ich unter Menschen.“

Martina nutzt auch die Begegnungsstätte in den beiden oberen Stockwerken. Dort kann sie mit anderen Menschen zusammenkommen und an Kursen teilnehmen. Dienstags von 14:30 bis 16 Uhr gibt es z.B. ein offenes Singen, das Manfred Ackermann mit seiner Gitarre ehrenamtlich durchführt. Liederbücher sind vorhanden mit Volksliedern, Spirituals, Schlager-Ohrwürmern und Beatle-Songs. Jeder kann unentgeltlich teilnehmen – dazu muss man nicht krank sein.

Das Singen findet im ausgebauten Dachgeschoss statt, im größten Raum der Begegnungsstätte. Hier ist der Ausbau besonders gut gelungen: Die Balken des Dachstuhls sind sichtbar geblieben, Dachflächenfenster bringen Licht hinein, Glaswände trennen Büros und ein Malatelier vom Hauptraum – ein schönes Beispiel, wie man ein altes Gebäude einer neuen, sinnvollen Nutzung zuführen kann, ohne das Alte zu zerstören. Hier werden Kreativgruppenangebote vorgehalten, in der Regel für einen sehr geringen Unkostenbeitrag. Nach dem Konzept von Pinel sind sie offen für alle Interessenten, die bereit sind zur Begegnung mit psychisch Kranken. Die Anleitung liegt (bis auf den Singekreis) ausschließlich in der Hand von Fachleuten. Ziel ist es, die Fähigkeiten der Klienten zu fördern und sie anzuregen, ihr Leben möglichst selbst zu gestalten.



Es wird sicher immer ein paar Menschen geben, die so schwer gestört sind, dass sie ständig in einem geschützten Bereich leben müssen, aber die meisten können durchaus ihren Platz in einer offenen Gesellschaft finden, wenn sie maßgeschneiderte Hilfen bekommen wie bei Pinel.

Das KommRum in der Schnackenburgstr. in Friedenau arbeitet auf ähnlicher Grundlage. Im Café der Schwarzschen Villa am Kreisel in Steglitz sind auch psychisch Kranke beschäftigt, die in den ersten Arbeitsmarkt (zurück)gefunden haben. Es gibt eine größere Nachfrage nach geschützten Arbeitsbereichen als Pinel und ähnliche Einrichtungen derzeit bereitstellen können. Zuwendungen des Bezirkes und Entgelte für die Betreuung würden für das Gesamtangebot allein nicht ausreichen. Erst durch die Umsätze der Arbeitsprojekte lässt sich eine Stabilität des Tageszentrums und der Beschäftigungsprogramme gewährleisten.

Das Logo von Pinel zeigt einen aufrechten Menschen, der beherzt aus einem Schatten heraustritt, ein symbolträchtiges Bild. Pinel will helfen, dass er sich „draußen“ gut zurechtfindet. Wenn Sie die Gesellschaft dabei unterstützen wollen, dann besuchen Sie mal das Restaurant Pinelli oder mieten Sie das Pinellodrom. Der Veranstaltungssaal hat 200 qm, man kann dort Betriebs- oder Familienfeiern und auch kulturelle Veranstaltungen durchführen und damit den 15 Klienten, die dort tätig sind, Arbeit geben. Oder kommen Sie einfach mal zum offenen Singen. Mir macht es viel Freude, wenn ich gelegentlich dort hingehe.

Infos unter www.pinel.de

Hans Markert

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April 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis