5. Beitrag aus unserer Serie: Der Bürgerhaushalt in Tempelhof-Schöneberg
Franz Kafka und der Bürgerhaushalt

In seiner Erzählung „Vor dem Gesetz“ schildert Franz Kafka einen Bürger, der „Eintritt in das Gesetz“ begehrt. Davor steht aber ein Torhüter, der ihm sagt, der Eintritt sei zwar möglich, jetzt aber nicht.

Er könne den Eintritt wohl auch gegen das Verbot versuchen, er möge aber bedenken: „Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Torhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Torhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den An-blick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.“

Daraufhin setzt sich der Bürger auf einen Schemel neben das Tor, um auf Einlass zu warten. „Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und ermüdet den Torhüter durch seine Bitten“ ... Schließlich sieht er sein Ende nahen. „Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Torhüter noch nicht gestellt hat ... „Was willst du denn jetzt noch wissen?“ fragt der Torhüter, „du bist unersättlich.“

„Alle streben doch nach dem Gesetz“, sagt der Mann, „wieso kommt es, dass in den vielen Jahren außer mir niemand Einlass verlangt hat?“ ... „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Ein neues Tor tut sich auf

Diese Erzählung ist zwar schon 100 Jahre alt, aber sie gibt auch das aktuelle Lebensgefühl in unserem Lande wieder. Die Bevölkerung hat den Glauben an die grundgesetzlich zwar garantierte, faktisch aber als unerreichbar erlebte Mitwirkungsmöglichkeit innerhalb des Gemeinwesens fast verloren. Sie erlebt die unter dem Stichwort Globalisierung versammelten Erfahrungen als bedrohliche Aufhebung der bislang gültigen Werte und Orientierungen. Die computergestützte Verdinglichung aller Lebensbereiche hat die überlieferten Sicherheiten in Betrieb und Familie, in Staat und Nation ausgehebelt. Der grenzüberschreitend aktivierte Sachzwang verwaltet heute Kapital und Arbeit emotionslos nach Effizienzkriterien, sodass der US-amerikanische Großspekulant George Soros treffend sagen kann, im Umgang der Menschen miteinander seien heute „Transaktionen“ an die Stelle von „Beziehungen“ getreten.

Natürlich hat inzwischen auch die Politik bemerkt, dass die Bevölkerung sich der Wirksamkeit dieser als anonym und unerreichbar erlebten Mächte hilflos ausgeliefert fühlt, und reagiert mit dem Angebot neuer Beteiligungsformen, um der sich verhärtenden Politikverdrossenheit der potenziellen Wähler zu begegnen.

So hat der Bezirk Tempelhof-Schöneberg im vergangenen Jahr einen Bürgerhaushalt aufgelegt, der im Ergebnis immerhin 90 Vorschläge zur Verbesserung staatlicher Tätigkeit vor Ort eingesammelt hat. Nach der Verabschiedung im Parlament Ende letzten Jahres ist die Umsetzung allerdings ins Stocken geraten, denn auch hier wirken sich die anonymen Sachzwänge politikhemmend aus. Zur Mittelkürzung des Senats und zu der angespannten Haushaltslage des Bezirks treten allerdings selbstgemachte Schwierigkeiten hinzu.

Wo liegt der Hase im Pfeffer?

So gibt es für die einstimmig beschlossene Durchführung des Bürgerhaushalts leider kein Konzept. Daher bleibt die Frage offen: wie soll denn eigentlich bei Vorschlägen verfahren werden, die nicht in die Zuständigkeit des Bezirks fallen? Reicht zur Erledigung eines Vorschlags etwa die Weiterleitung an den Senat, oder muss nicht doch eine bezirkliche Patenschaft für den Weg durch den Verwaltungsdschungel übernommen werden?

Und was ist mit Anregungen, die auf die Einbeziehung von Eigeninitiative setzen? Die Suche nach Sponsoren für Straßenbäume etwa wurde vorgeschlagen. Oder musikalische und sportliche Früherziehung durch interessierte Freiwillige. Oder die ehrenamtliche Unterstützung bei Aktivitäten im Freizeitbereich wurde angeboten. Reicht hier die verwaltungsseitige Feststellung, der Vorschlag werde geprüft? Oder hat hier das Büro für das Ehrenamt nicht eigentlich einen Handlungsauftrag erhalten?

Was ist schließlich mit Vorschlägen zur Perfektionierung des Verwaltungshandelns? Reicht es aus, bei Rufen nach mehr Abfallbehältern in benannten Problemgebieten oder bei der als ungenügend gemeldeten Reinigung von bezeichnetem öffentlichen Gelände auf die BSR zu verweisen? Oder muss nicht doch das vorgetragene Anliegen zur eigenen Sache gemacht werden und gegebenenfalls sogar eine Ermahnung per Knöllchen erteilt werden, wie es uns gewöhnlichen Sündern seitens des Ordnungsamts auch geschieht? So jedenfalls forderte es ein vorschlagender Bürger.

Was tut sich am Tor?

In einer Stellungnahme des Bürgermeisters Ekkehard Band (SPD) verweist dieser auf die Neuartigkeit des Verfahrens und verspricht eine Analyse der aufgetretenen Probleme, um für eine angedachte Neuauflage des Bürgerhaushalts zum Jahr 2012 gerüstet zu sein.

So lange will aber zumindest die Opposition nicht auf bessere Ergebnisse warten. Seitens der FDP erklärte Malte Priesmeyer gegenüber dieser Zeitung, seine Fraktion werde im August eine Große Anfrage zum Stand des Bürgerhaushalts an die Bezirksregierung richten.

Bis dahin bleibt noch etwas Zeit für die Stadtteilzeitung, wenigstens einige umgesetzte Vorschläge aufzuspüren.

Ottmar Fischer

Informationen zum Bürgerhaushalt in Tempelhof-Schöneberg finden Sie im Internet unter http://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/derbezirk/ buergerhaushalt/index.html

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April 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis