Immer langsam voran | Ein Interview von Arnd Moritz

Kronos-Gerät unmittelbar vor Inbetriebnahme, man beachte die geöffnete Einstiegsluke, einzige bekannte
Fotografie des Kronos-Gerätes vor Beginn des Großversuchs mit beteiligten Wissenschaftlern, links außen
Dr. Ernst Koepplbleek, Berlin-Steglitz, wohl Mitte April 1926. Fotos (auch unten): www.kronos-projekt.de


Das Kronos-Projekt

Vom 10.12.2009 bis zum 07.02.2010 präsentierte der Berliner Künstler Roland Boden sein Kronos-Projekt. Im U-Bahnhof Potsdamer Platz dokumentierte der Künstler das Ergebnis seiner Recherche zu dem noch laufenden Langzeitexperiment:

1926 schickte das Kaiser-Wilhelm-Institut acht Probanden in einem umgebauten U-Bahn-Wagen auf Zeitreise. Zum Nachweis von relativistischen Zeiteffekten wurde das Vehikel auf eine Geschwindigkeit von 10,4 mm/Tag entschleunigt. Die vergangenen 84 Jahre sind für die Testpersonen in knapp sieben Stunden vergangen. Das Vehikel ist unsichtbar infolge der Verzerrung seines Raum-Zeit-Gefüges. Am 11. März beantwortete Roland Boden Fragen der Stadtteilzeitung.

Wie kamen Sie als Ingenieur zur Kunst?
Nach einem Studium des Bauingenieurwesens hatte ich mich zunehmend mit Bildender Kunst befasst und schließlich dann den Wechsel zur Kunst vollzogen. Eine Folge ist, dass ich oft mit einer naturwissenschaftlich bzw. technisch geprägten Betrachtungsweise bestimmte Sachverhalte bearbeite.

Was bewegte dann den Künstler, sich technischer Themen anzunehmen?
Ich sehe mein Grundinteresse an Dingen ausgerichtet, die ich eher als tektonisch denn als technisch bezeichnen würde. Mich interessiert der Dualismus von Grundordnung und Chaos.

Die Gegenwart ist von Beschleunigung bestimmt. Sie präsentieren ein Entschleunigungsprojekt. Paul Virilio, Architekt und Philosoph, kritisiert Beschleunigung als verborgene Seite des Reichtums, als bestimmenden Faktor für Gesellschaft, Politik und Geschichte. Machen Sie eine ähnliche Aussage?
Virilio hat, wie Sloterdijk, eine eher aphoristische Herangehensweise. Seine Ästhetik des Verschwindens, die ja auch mit dem Tod zu tun hat, hat mich sehr interessiert. Direkte politische Aussagen sind von mir nicht in-tendiert. Ich will nicht belehren. Mir ist schon bewusst, dass solche Fragen immer wieder aufgeworfen werden. Aber ich kann in der heutigen Gesellschaft ganz gut leben. Ich muss mich nicht zur Mohrrübenzucht aufs Land begeben.

1924 wurde eine Vorstufe des Kronos-Experimentes mit dem Hasen Walter gemacht. 41 Jahre später machte Josef Beuys einen Hasen zum Hauptdarsteller seiner Aktionskunst. Bei Beuys steht der Hase auch für Bewegung und Kommunikation. Stehen der Hase Walter und Beuys´ Hase gleichermaßen für Bewegung und Zeit?
Nun, erstens war es beim Kronos-Projekt ein Kaninchen. Ich selbst habe ja nur diesbezügliche Recherchen betrieben, insofern kann ich kaum etwas zu den Intentionen oder Wünschen der damals beteiligten Wissenschaftler sagen. Heute könnte man natürlich einen derartigen Vergleich ziehen. Viele der Beteiligten haben offensichtlich Namen, die diverse Bezüge herstellen lassen. Das müsste gesondert untersucht werden. Das Versuchstier hier heißt Walter. Da fällt mir in Berlin natürlich sofort Ulbricht ein. Möglicherweise gibt es hier auch einen ironischen Aspekt.


Seitenansicht des umgebauten AI-Wagens, Thermokopie des Originalplans, um 1925

Beuys, wie Gunther von Hagens, konfrontiert den Tod mit dem Leben. Sie konfrontieren das Leben mit dem Tod. Kreieren Sie einen anti-parallelen Kosmos zur Beuys-von-Hagensschen Totenwelt?
Ich würde sicher Beuys nicht mit Herrn von Hagens vergleichen wollen und auch ich würde mich sehr ungern in irgendeine Beziehung zu besagtem Herrn setzen wollen. Ich halte dessen Elaborate für groben unsäglichen Kitsch. Dass aber der Tod, bzw. der Umgang mit ihm, eine große Rolle für dieses Projekt spielt, ist sicherlich richtig. Man kann das Gefährt schon als eine Art Totenschiff, die mitreisenden Probanden gewissermaßen als Untote ansehen. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Namen der beteiligten Wissenschaftler. Es handelt sich um ein großes Thema der Weltliteratur und natürlich beziehe ich mich auch auf die Faszination, die von der Vorstellung der Überwindung des Todes ausgeht. Ich versuche, es mit einem gewissen Humor zu betrachten.

Es geht um acht Personen, die irgendwo unter Steglitzer Erde auf Zeitreise sind. Es war Ihnen gelungen, mit Spezialtechik Tonsignale zu empfangen. Wie geht es den Personen zur Zeit?
Wir konnten natürlich nur stark verzerrte Geräusche empfangen, die an die Stimmen Betrunkener erinnerten. Offensichtlich ging es den Probanden recht gut. Es schien so, als würden Karten gespielt. Wissenschaftlich aber war leider nicht viel Ergiebiges zu vernehmen.

Welche Forschungseinrichtung beschäftigt sich mit dem Projekt und letztendlich mit der Bergung der Probanden?
Wie es aussieht, wird das Projekt gegenwärtig nicht wissenschaftlich begleitet. Allerdings hat sich neulich die Max-Planck-Gesellschaft interessiert gezeigt, die auf dieses Projekt aufmerksam wurde. Vielleicht kann auf Regierungsebene veranlasst werden, dass diese Institution sich als die Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Institute damit befasst. Immerhin ist jetzt an höchster Regierungsstelle eine Physikerin tätig!


Roland Boden

Möchten Sie zu Ihrem Projekt noch etwas sagen, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Das Kronos-Projekt ist im Rahmen des Gesamtprojektes U10 von hier aus ins Imaginäre und wieder zurück der Arbeitsgruppe U10 innerhalb der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) ermöglicht und unter anderem von der BVG unterstützt worden. Die erste Präsentation im November 2009 erfolgte im Rohbau des nie genutzten Bahnhofs der U10 unterhalb der U4 am Innsbrucker Platz. Auch das wäre ohne die Unterstützung der BVG nicht möglich gewesen. Hierfür möchte ich mich sehr bedanken. Das gesamte Projekt ist weiterhin umfänglich auf der Website www.kronos-projekt.de nachzulesen.

Herr Boden, ich danke Ihnen herzlich für das Interview.

Das Interview mit Roland Boden führte Arnd Moritz

Links: www.kronos-projekt.de

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April 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis