Neue Konzepte für den Breslauer Platz


Foto: Thomas Protz


Foto: Thomas Protz

Dem Heimspiel einen Platz


Darüber hat man schon 1965 nachgegrübelt: „Wie kann der Bürger, der von den Erbauern seiner „Heimstätte“ gar nicht mehr als lebendiges Individuum, sondern als wohnungsheischendes Abstraktum aufgefaßt wird, (...) wie kann dieser zum Wohnraumverbraucher entwirklichte Bürger rückläufig auf diese Stadt einwirken?“

Diese Frage Alexander Mitscherlichs (1) mag auch uns Heutige umtreiben, wenn wir z. B. den Breslauer Platz vor Augen haben und damit das, was eine auf Rationalität und Effizienz ausgerichtete Großverwaltung in der Vergangenheit hervorgebracht hat.

Unternehmen wir eine Ortsbegehung und beginnen mit dem Rathaus, dessen Inbetriebnahme noch in die Zeit des Ersten Weltkrieges fiel. Da die Eingemeindung Friedenaus in den Stadtbezirk Schöneberg aber schon bald nach Kriegsende stattfand, kam es nicht mehr zu einer dem Bürgerbau angemessenen Gestaltung des Vorplatzes, wie wir das aus anderen Städten gewohnt sind. Anstatt die Gestalt eines städtebaulichen Mittelpunktes anzunehmen, verkam er im Lauf der Zeit zu einer Art liegengebliebenem Reifen an der alles dominierenden „Rollbahn nach Berlin“.

So sind hier die Oberlichter der stillgelegten, denkmalgeschützten Toilettenanlage notdürftig durch furunkelartige Poller vor rangierenden Fahrzeugen gesichert. Ein Schilderwald samt Kartenautomat begleitet die Parkraumbewirtschaftung.

Der Kiosk-Betrieb an der Halte-stelle zeigt die Merkmale einer Behelfseinrichtung. Und selbst der Wochenmarkt am Platzrand vermittelt nicht den Eindruck einer sich ins städtebauliche Ensemble einfügenden Besonderheit, sondern hat eher, wie auch alles Übrige, den Charakter einer räuberischen Umnutzung.
Hier wird der Verlust eines kostbaren Gutes ausgewiesen durch das Erlebnis eines Raumes ohne Seele.

Im Hamburger Bahnhof, der bekanntlich ein Ort der Kunst geworden ist, gibt es ein sprechendes Abbild für einen derartigen Verlust. Dort nämlich kann das wohl schrecklichste Werk des Installationskünstlers Bruce Nauman besichtigt werden. Es bezeichnet die Trostlosigkeit von Orten, die, wie die nicht vollendete Mitte von Friedenau, ihr Herzblut an einen übermächtigen Sauger verloren haben. Dieses Kunstwerk trägt einen treffenden Doppelnamen, der bereits das ganze Ausmaß der Katastrophe kenntlich macht: „Room with my Soul Left Out. Room That Does not Care“. Frei übersetzt heißt das etwa: „Diesem Raum ist es egal, dass er von meiner Seele verlassen worden ist“. Oder etwas ausführlicher: „Einst hatte ich einen Wunsch an diesen Raum. Doch er wurde nicht erhört, ja nicht einmal gehört. Selbst dass ich ihn daraufhin verließ, ist ihm gleichgültig“.

Die in diesem Kunstwerk beschriebene Seelenlage gehört mit der Durchsetzung der globalisierten Tauschverhältnisse für Arbeit, Güter und Finanzierungen zu den alltäglichen Erfahrungen auch der Einwohner Friedenaus. Daher ist auch hier der Wunsch nach einem Ort angewachsen, der ihnen unveräußerlich gehört und seinerseits signalisiert, dass er den Bewohnern angehören möchte.

Dieser Ort muss nun endlich auf dem Breslauer Platz auch geschaffen werden. Angesagt ist also keine Reparatur wie sie bisher das Bezirksamt vorsah, sondern eine Gestaltgebung! So zumindest scheinen es die Friedenauer Einwohner zu sehen.

Darum verwundert es auch nicht, dass der Amtsentwurf, der lediglich eine Beräumung des Platzes vorsieht, bereits Ende Juni den allgemeinen Unmut der Bürgerversammlung erregte. Sie lehnte den Plan ab mit der Option, nun eigene Verbesserungsvorschläge einzubringen. Dies ist inzwischen geschehen: Neben zahlreichen Einzelideen wurde dem Amt auch ein Konzept übergeben, das neben der Instandsetzung der historischen Rathausfassade noch weitere Einrichtungen vorsieht, um den Anwohnern und Besuchern des Breslauer Platzes jene „Heimstätte“ im öffentlichen Raum zu bieten, von der Mitscherlich gesprochen hat.

Ottmar Fischer

Der erwähnte Entwurf kann angefordert werden unter:
fischerottmar@t-online.de
oder sie laden sich diesen aus dem Internet herunter unter:
www.berlin-suedwest.de/breslauerplatz/

1) Alexander Mitscherlich: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“. Frankf. Main, 1965


Dezember 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis