Kinderchor in der BVV Tempelhof-Schöneberg

Foto: Ottmar Fischer

Der Gesang zur Kassenlage


Wer im Schöneberger Rathaus über die Eingangstreppe das Foyer erreicht, wird erst einmal von der zeitgemäßen Variante des Geßler-Hutes begrüßt.

Foto: Ottmar Fischer

Doch während in Schillers  „Wilhelm Tell“ der  auf der hohen Stange ruhende Hut des Landvogts mit dem Beugen des Knies geehrt werden muss, als sei der Besitzer leibhaftig anwesend, kann man die heutige Variante grußlos und ungestraft passieren. Denn es handelt sich um Ausstellungstafeln zu einem Thema der political correctness. Daher ist auch weit und breit niemand zu sehen, der sich dafür interessieren würde. Stattdessen lärmt es vom 2. Stockwerk hernieder mit Sang und Klang, sodass dem Besucher die Frage kommt, ob vielleicht die prekäre Haushaltslage die Rathausleute dazu gebracht hat, auch parallel zum Verwaltungsbetrieb Teile des Rathauses gewinnbringend zu vermieten.

Aber beim Aufstieg in die Region des Bezirksverordnetensaals er-weist sich diese Möglichkeit als Irrtum. Nicht nur der eigentliche Eingangsbereich, sondern bereits die breite Treppenpassage ist derart dicht mit Eltern und Kindern besetzt, dass der Besucher nur mit Mühe zwischen Taschen und Rucksäcken, Wasserflaschen und Musikinstrumenten, Kleidungsstücken und wuselnden Sängern hindurch findet, um endlich das politische Herz des Bezirks klopfen hören zu können.
Als verantwortlich für dieses kostenlose Konzert der besonderen Art gibt sich auf einem Flugblatt die Elterninitiative der Leo Kestenberg Musikschule zu erkennen. Darin stellt sie drei Forderungen auf. Sie wendet sich gegen den Schüleraufnahmestop, gegen weitere Honorarkürzungen und für eine akzeptable Sanierung des Gebäudes, wofür Stadtrat Krömer (CDU) gerade ein Notfallkonzept erstellt. Und dann heißt es  in dem Text:
„Wir wissen,dass Geld knapp ist, aber wir können die finanziellen Kürzungen im Bereich der Musikschule nicht akzeptieren!“

Als auch die letzten Verordneten in der Versammlung eingetroffen sind, greift der Vorsteher des Hauses ganz gegen seine Gewohnheit zur Glocke, und tatsächlich verstummen nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Leute. „Die Kinder der Leo Kestenberg Schule sind gekommen, um uns ein Ständchen zu bringen“, verkündet er diplomatisch. Und dann stehen sie da im Eingangsbereich und lassen ihre fröhlichen Kinderstimmen erschallen, als sei ihre Welt durch die Verzauberung der Politik in Ordnung zu bringen. Die Gesichter von Bildungsstadtrat Hapel (CDU) und Bürgermeister Band (SPD) bleiben traurig.

Der eine wird sich vielleicht an jenen Musikschüler aus der Fachgruppensitzung Kultur erinnert haben, der im Rahmen der Befragung zum noch laufenden Bürgerhaushalt dem Stadtrat gesagt hatte, er habe angesichts der Haushaltslage nur den Wunsch, dass wenigstens das Vorhandene erhalten bleibe.

Der andere aber wird in Gedanken vielleicht schon beim Tagesordnungspunkt Große Anfragen der nun folgenden Sitzung gewesen sein. Denn sowohl die Bündnisgrünen als auch die SPD wollten darin vom Bezirksamt wissen, ob es lokale Auswirkungen der Kürzung von Mitteln aus der Städtebauförderung gibt.

Der Betrachter ahnt: Nicht Gesang, sondern Geld regiert die Welt.

Ottmar Fischer



Dezember 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis