Gedenkfeier

Tim Reske siegt in Hildesheim
Foto: Privat


100 Jahre Iduna

Lange bevor es eine Versicherung mit dem Namen Iduna gab, gründete sich ein Fahrradverein und gab sich den Namen Schöneberger R.V. Iduna (nach der nordische Göttin der ewigen Jugend).

In einer Festschrift mit vielen Grußworten, angefangen mit Klaus Wowereit bis hin zum Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer Rudolf Scharping - wer kennt nicht die Bilder: unser Minister mit seinem Freund Jan Ullrich bei der Tour de France - wurde gratuliert. Die Festschrift gibt einen Rückblick über die 100 Jahre Vereinsgeschichte, die ein Spiegelbild der jeweiligen politischen Zeit ist, zeigt aber auch, wie sich das Fahrrad in den 100 Jahren entwickelt hat.

Heute als Autohersteller bekannte Firmen entwickelten und produzierten die ersten Fahrräder in Deutschland. Noch heute kann man NSU oder Audi-Räder entdecken. Ein Jahr nach der Gründung veranstaltete der R.V. Iduna ein Radrennen über 100 km. 29 Starter beteiligten sich. Wie viele ans Ziel gelangten, ist nicht überliefert. Die Rennmaschinen hatten damals eine Feder-Bereifung. Rahmen, Sattel und Lenker hatten schon Ähnlichkeit mit heutigen Rädern.

Der erste Weltkrieg brachte das Vereinsleben zum Erliegen. Viele Aktive kamen erst nach und nach aus der Gefangenschaft zurück. Politische Unruhen in Berlin erschwerten das Vereinsleben. Zudem gab es kaum Reifen, und wenn, waren diese nicht renntauglich. Dieser Umstand bewegte die Mitglieder des Vereins, nach Alternativen zum Radsport zu suchen. Kegeln wurde geselliges Samstagvergnügen -  noch heute gibt es eine Kegelabteilung -, am Sonntag wurde getanzt.

Für ein Jahr gab es den Verein nicht mehr, man fusionierte mit R. V. 1888. Diese Fusion wurde ein Jahr später wieder rückgängig gemacht. Von 1921 bis 1930 gab es wieder ein reges Vereinsleben, Räder konnten vom Verein gekauft werden.  Wichtiger noch waren die Reifen, die nach den Rennen wieder an den Verein abgegeben werden mussten. 1922 betrug der Mitgliedsbeitrag 7 Mark, die Inflation bewirkte innerhalb von 18 Monaten, dass der Beitrag auf 40.000 Mark rasant anstieg.

Nur durch Spenden von Ehemaligen war es noch möglich, das Vereinsleben aufrecht zu erhalten. Turbulente Zeiten für den Verein, doch Rennen wurden immer wieder erfolgreich gefahren, mit Ehrenpreisen für Fahrer des Vereins. Eine Motorradabteilung wurde gegründet, so blieben ehemalige Rennfahrer im Verein gebunden. Die Motorisierung schritt rasant fort.

Ab 1931 und mehr noch ab 1933, erst schleichend, machten sich die politischen Umwälzungen bemerkbar. Obwohl ein deutlicher Mitgliederzuwachs und viele sportliche Erfolge zu verzeichnen waren und vor allem eine starke und sehr erfolgreiche Jugendabteilung Bestandteil des Vereins wurde, muss man das Vereinsklima als kühl beschreiben. Rennfahrer wurden aufgefordert, zu Hitlers Reden aufzumarschieren, der Vorsitzende war nun der Vereinsführer, und aus dem Radfahrergruß wurde Heil Hitler und es gab Kameradschaftsabende. Alle Jugendfahrer gehörten automatisch zur Hitlerjugend. Viele Protokolle gibt es nicht aus den Jahren 1934 bis 1939. Der zweite Weltkrieg war eine neuerliche Zäsur: 40 Mitglieder wurden Soldaten, erste waren gefallen. Ungeachtet dessen gab es immer wieder Rennen. Noch funktionierte das Leben in Deutschland, doch das Vereinsleben wurde immer schwieriger.

1949 wurden wieder Sportvereine zugelassen. Mit bescheidenen Mitteln konnte R.V. Iduna an Rennen teilnehmen. Das Interesse am Radsport stieg rasant, sogar eigene Vereinsmeisterschaften wurden ausgetragen: Kolonnenstraße – Naumannstraße - Cheruskerstraße – Torgauer Straße, das war die Rennstrecke. Fernfahrten gingen nach Leipzig und Cottbus.

1955 erlahmte das Interesse, besonders das der Jugendlichen, am Radrennsport. Das 50. Jubiläum feierte der Verein 1960. Nach dem Bau der Mauer 1961 fuhren Radsportler zu Rennen nach Westdeutschland, trotz etlicher Schikanen an der Grenze. 1985 konnte endlich ein eigenes Vereinsheim, rechtzeitig zum 75. Jubiläum, bezogen werden. Viele rauschende Feste wurden dort gefeiert. In dieser Zeit ging es zum ersten Mal auf eine weite Reise nach Vilnius in Litauen - ohne großen sportlichen Erfolg. Die herzlichen menschlichen Begegnungen jedoch waren eine nachhaltige Erfahrung.
Der Fall der Mauer ermöglichte es, wieder ins Umland zu fahren. Partnerschaften, so mit einem Radclub BRC Semper 1925 aus Ost-Berlin, wurden eingegangen. Nicht mehr allein die Rennfahrer bestimmten das Vereinsleben, sondern der Breitensport. Rad-touren-Fahrten wurden immer beliebter.

Erst 2003 erfuhr ich, dass es den Verein in Schöneberg gibt. Einen benachbarten Jungen, zehn Jahre alt, sah ich im Rennfahrertrikot. Es war die Zeit der Erfolge von Jan Ulrich bei der Tour de France. Ich dachte, es sei ein Fantrikot. „Nein“, sagte stolz der Vater, „Tim fährt Radrennen, ich fahre ihn überall hin.“ Es stellten sich schnell Erfolge ein. Nicht gleich die ersten Plätze, doch in der Spitzengruppe landete Tim Reske immer öfter. Nun ist er seit etlichen Jahren das Aushängeschild der Iduna. Auf der Straße ebenso wie auf der Bahn errang er viele Erfolge. Zuerst der Berliner Radverband, und nun seit ein paar Jahren der Deutsche Radverband, nahmen ihn in den Kader auf. Das bedeutet, Schule mit dem Sport gut zu verbinden. Tim besucht die 11. Klasse in der Paul-Natorp-Oberschule. Auch auf seine Gesundheit muss er sorgsam achten. Die Unterstützung der Eltern hat Tim im hohen Maß. 2008 zeigte mir der Vater stolz einen Carbon-Rahmen, das tollste Material für ein Rennrad. Prompt wurden viele Siege eingefahren, ja, Tim wurde  im Mannschaftsfahren Deutscher Meister. Sein Ziel ist es heute, das Abitur zu schaffen und im gleichen Jahr bei der Olympiade in London an den Start zu gehen, wenn möglich mit seiner Freundin, die auch Deutsche Meisterin ist.

Das Jubiläum des Vereins im Rathaus Schöneberg war eine würdige Veranstaltung. Viele Gäste konnten 100 Jahre Iduna sehen und erleben, was auch per Mausklick möglich ist: www.rv-iduna.de.

Wie sich seit 100 Jahren das Fahrrad entwickelt hat und was es heute für Räder gibt, kann man in den großzügigen Ausstellungs- und Verkaufsräumen der Firma Pasculli in der Rheinstraße 45-46 sehen. Hier werden maßgefertigte Räder verkauft, ich kann nur staunen.

Ernst Karbe


Dezember 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis