Orte und Plätze in Schöneberg


Ein gemütliches Plätzchen - die Kaisereiche in den 50er Jahren. Foto: Archiv Museen Tempelhof-Schöneberg

Die Kaisereiche - nur ein Baum?

Anders als der Walther-Schreiber-Platz, dem nach bald hundertjährigem Bestehen als einfaches Rheineck 1958 doch noch ein Name beschert wurde, ist die Kreuzung Rhein-/Saar-/Schmiljanstraße bis heute namenlos geblieben. Wir haben uns seit langem daran gewöhnt, sie Kaisereiche zu nennen - ihr offizieller Name ist das nicht. Die Kaisereiche, das ist der Baum, der in hurrapatriotischen Zeiten, am 22. März 1879 zu Kaiser Wilhelm I. goldener Hochzeit und 82. Geburtstag, auf dem so genannten Rondell gepflanzt wurde. Ein Rondell war das damals auch noch, wenigstens ein halbes, und auf alten Fotos kann man sehen, dass Ende des 19. Jh. Mosel-, Saar- und Illstraße drei gleich große, mit Bäumen dicht bestandene Straßen waren. Heute ist das Rondell zu einer winzigen Verkehrsinsel geschrumpft, gerade groß genug, dass man die Ampeln an der breit ausgebauten Saarstraßeneinmündung gefahrlos überqueren kann. Noch nach dem 2. Weltkrieg standen hier Bänke, auf denen man im Schatten des Baumes ausruhen konnte.

Eichen gelten als langlebig, die Kaisereiche jedoch macht da eine Ausnahme. Sie fiel bald „bübischer Hand“ zum Opfer, wie der Haus- und Grundbesitzer-Verein zu Berlin-Friedenau 1913 posthum vermeldete. Es gab sogar das Gerücht, dies sei eine Protestaktion von sozialdemokratischer Seite gegen die Bismarck'schen Sozialistengesetze gewesen. Eine 1883 neu gepflanzte kränkelte und ging bald ein. Erst der dritten war dann ein längeres Leben beschert. Unklar ist, ob das noch dieselbe war, die den letzten Krieg überlebt hat. Wenn alles gut gegangen ist, können wir jetzt also eine vierte Eiche bewundern; sonst wäre es die fünfte. Mindestens. Wie lange diese nun Abgase und sauren Regen aushält, wird man sehen. 


Die Kaisereiche vor dem 2. Weltkrieg. Foto: Archiv Tempelhof-Schöneberg

Dabei hatte es so schön begonnen. Mit großem Pomp und unter Beteiligung aller, die Rang und Namen hatten, war die Eiche 1879 begrüßt worden: die Gemeinde, die Kirche, der Kriegerverein und die „gesamte Bevölkerung“ (was für 1879 ja noch vorstellbar ist) hatten sich eingefunden, um den Baum und seine Installierung zu feiern, die Schulkinder sangen mehrstimmige Chöre und alle waren glücklich! Da konnte unser heutiger Verschönerungsverein, die Rheinstraßeninitiative, nicht mithalten, als er sich 2004 des 125. „Geburtstages“ der Kaisereiche (des Baumes!) erinnerte und den Anlass nutzte, eine Messingtafel anfertigen zu lassen, auf der der - etwas verkürzte - Werdegang des Baumes dokumentiert ist. Auch der Name Kaisereiche ist nun auf einem Schild festgehalten, selbstverständlich in Frakturdruck; schließlich befand sich unter den Feiergästen neben dem Bürgermeister und nunmehr nur noch „zahlreichen“ Friedenauern SKH (was wohl „seine königliche Hoheit“ heißen soll) Franz Friedrich Prinz von Preußen! (Die gibt's noch?  fragten meine Enkel)...

Wir haben also einen Ort in Friedenau, der Kaisereiche heißt. Es ist kein Platz, aber jeder weiß, was gemeint ist, wenn man eine Wegbeschreibung mit „vor der Kaisereiche“ oder „hinter der Kaisereiche“ präzisiert und denkt dabei nicht an den Baum. Bus- und Taxihaltestelle allerdings tragen ganz offiziell den Namen Kaisereiche (wie sich ja auch die Haltestelle „Zehlendorf Eiche“ in keinem Straßenverzeichnis findet.)
Als Friedenau 1871 gegründet wurde, setzten die ersten Häuslebauer ihre Backsteinvillen zum Teil noch nach Gutdünken an eine ihnen genehme Stelle. Ein Plan von 1874 zeigt dann schon die erste dichtere Bebauung rund um das „Rondell“ herum. Waren es anfangs noch die vorgeschriebenen Kolonistenvillen, nicht höher als 2 Stockwerke, die den Charakter Friedenaus als Villenkolonie prägten, so begann um 1900 der Bau der ersten vier- bis fünfstöckigen Mietshäuser, und ein Teil der Villen wurde wieder abgerissen.  


Die Kaisereiche heute. Foto: Thomas Protz

Wie prächtig gebaut worden war, kann man heute noch sehen, die meisten Häuser haben den Krieg überstanden. Im Vergleich zu vielen anderen Berliner Bezirken, in denen ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt wurden, hat Friedenau verhältnismäßig wenige Bomben abbekommen. Die großen Eckhäuser rund um die Kaisereiche herum sind mit Ausnahme des „Hotels Kaisereiche“ (heute steht dort das Haus der Berliner Sparkasse) verschont geblieben - mehr oder weniger mitgenommen und z.T. ihrer Verzierungen, z.B. der früher so beliebten Ecktürmchen, beraubt, die man aber hier und dort inzwischen wieder aufgebaut hat. Ein Beispiel für eine gelungene Restaurierung bietet das Haus Saar- Ecke Moselstraße (siehe Beitrag von Evelyn Weissberg: Denkmalgeschützte Jugendstilfassade wieder hergestellt).

Während heute nur noch ein Restaurant an der Ostseite der Kaisereiche zum Schmausen einlädt, befanden sich früher gleich vier Lokale rund um das alte Rondell, wie man auf alten Fotos sehen kann, darunter ein großes Café, in dem in den Dreißigerjahren ein Stehgeiger für Stimmung sorgte. Das kleine Mädchen, das ich damals war, fand das komisch, aber auch etwas peinlich. Heute sind wir von Imbissbuden und Stehcafés umgeben - o tempora, o mores!

Sigrid Wiegand

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Februar 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis