Kunst im Kiez


Bettina Follenius bei der Arbeit. Foto: privat

Sag mir wo die Muscheln sind...

Die Schöneberger Crellestraße besaß einst einen Strand, der nun verschwunden ist. Nach ca. sechs Jahren wurde er ein Opfer des pekuniären Ebbesogs, der sich zunehmend in unseren Geldbeuteln bemerkbar macht. Gegen Ende 2009 zeigte sich der finanzielle Engpass besonders deutlich. Die Rede ist von der Produzentengalerie „Strand“ in der Crellestr. 19/20, deren Betreiberin Bettina Follenius nun zu neuen Ufern aufbricht.

Seit 11 Jahren gestaltet sie Bilder mittleren Formats mit Hilfe von Muscheln, deren Formen und Farben sie miteinander kombiniert und zu abstrakten Mustern zusammensetzt. Diese werden wohl vorerst keinen festen öffentlichen Ort mehr haben, wo man sie sehen kann. Dennoch bleibt Bettina Follenius entspannt, denn sie sieht Kunst als Entwicklungsweg, auf dem man Altes hinter sich lassen, sich verabschieden können muß, - obwohl man gut integriert war im Kiez. Auch verstehe sie das Leben als Lernprozess und die gegebene Situation als Aufforderung, künstlerische Wechsel anzustoßen und Neues auszuprobieren.

Passend zu den Muscheln ihrer Bilder hat sie sich schon immer gern im Fluß der Geschehnisse um die nächste Biegung tragen lassen und diverse Existenzformen durchgetestet: Als studierte Germanistin und Soziologin war sie u. a. im Theater- und Medienbereich tätig oder unterrichtete Deutsch als Fremdspache an der VHS.

Später folgte sie ihrem Wunsch, direkter mit Menschen zusammenzuarbeiten und absolvierte eine Ausbildung am Ilse-Middendorf-Institut für erfahrbaren Atem am Viktoria-Luise-Platz, wo sie die folgenden 13 Jahre als Ausbildungsleiterin tätig war. Auch heute arbeitet sie noch gelegentlich als Atemtherapeutin.
Dabei gelingt es ihr, den Brotberuf auf positive Weise mit ihrer Kunst zu verbinden. Denn der Atem sei, so sagt sie, mehr als bloße Therapie und ebenfalls ein Entwicklungsweg, der Kreativität fördere und freisetze.


Muschel-Mosaik von Bettina Follenius. Foto: Thomas Protz

Das Formprinzip des Atmens, der Rhythmus, ist es dann auch, dem Bettina Follenius auf bildgestalterischer Ebene nachgeht, wenn sie die Vielfalt und naturgegebene Einzigartigkeit jeder einzelnen Muschel in Beziehung setzt zur menschlichen Tätigkeit des Suchens und Ordnens. So entstehen rhythmische Verhältnisse, Strukturgefüge, fein abgestimmte Mosaike, die etwas in die steinerne, hektische Großstadt transportieren, das irgendwie nach Urlaub aussieht, nach Sonne, Sand und Wasser, nach Strand eben. Es sind Erinnerungszeichen, die jedoch nicht nur auf ihren Herkunftsort rückverweisen, sondern auf die Natur als Lebensursprung überhaupt, sowie auf das Meer als Symbol des Unbewussten und dessen Kraft. Etwas Urtümliches und eine andere Form von Dasein, Zeit und Bewegung ist ihnen eingespeichert. Ein Phänomen, dem man vielleicht auf die Spur käme, wenn man, wie die Künstlerin, den Tag um 5 Uhr morgens mit einer Tasse Tee begänne, denn die Spanne zwischen Traum-Nacht und Alltagsanbruch sei am besten geeignet für ihre Arbeit, die sich dann „wie in einer Meditation“ vollziehe, sagt sie.

Die so entstehenden, an inneren Prozessen orientierten Muschelbilder bilden die Basis ihrer „Kunst des Zusammenfügens“. Nebenher jedoch entwickelte die Künstlerin weitere Projekte, die auf der humoristischen Ebene stärker nach außen auf Dialog und Kommunikation hin ausgerichtet sind, wie beispielsweise ihre „Follenius' Fabulous Fish Factory“. Dabei handelt es sich sowohl um farbige Collagen als auch um Zeichnungen, die in ihrem Aufbau oft nicht zu Ende erzählte Geschichten enthalten und deren Helden Fische sind. In allen Variationen und Verhältnissen, seien sie nun menschlich, surreal oder phantastisch, findet man sie in einer Art Ein-Bild-Comic vor. Da gibt es beispielsweise den Hai in der Badewanne, der von einer ihn anbetenden Sprotte dazu genötigt wird, sich ihren „Oh, Sole mio“-Gesang anzuhören... doch wie die Sache ausgeht, erfahren wir leider nicht.

Bettina Follenius wird ihre Fische-Welt noch weiter ausgestalten. Ein ganzer Fische-Kosmos soll in Zukunft entstehen und ein interessanter Zweig dieser Idee kommt in ihren sogenannten „Kritzelbüchern“ bereits zum Tragen. In ihnen fasst sie kleine Zeichnungen zusammen, die nebenher und aus der Intuition heraus entstehen.

Ein solches „Kritzelbuch“ gab auch im letzten Jahr den Anlass für eine Zusammenarbeit mit Kindern der Moses-Mendelsohn-Grundschule. Unter dem Titel „Das geheime Leben der Fische“ erstellte die Künstlerin einfache und unperfekte Zeichnungen jenseits des Disney- und Manga-Schemas. Diese Zeichnungen enthalten ein Angebot an Leerstellen und freien unbesetzten Flächen, die der kindlichen Phantasie den nötigen Raum zugestehen, eigene Formen der Ergänzung zu finden und eigene Aktivitäten zu entwickeln.

Bettina Follenius ist immer noch beeindruckt von der Kreativität, die mit der Zeit bei den Kindern zum Vorschein kam. Dass sie selbst durch ihr spezielles Konzept den fördernden Impuls dazu gab, steht für sie nicht so sehr im Vordergrund. Ihr Ehrgeiz sei es nicht, meint sie, ins Museum zu kommen. Viel lieber würde sie weiter so mit Kindern zusammenarbeiten und dann mit ihren „Kritzelbüchern“ „durch die Welt ziehen“.

Auf www.BettinaFollenius.de sind einige ihrer Arbeiten zu sehen. Für eine ausführlichere Atelierbesichtigung in der Belziger Str. 72 kann man über diese Seite Kontakt mit der Künstlerin aufnehmen.

Tekla Kubicki

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Februar 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis