Friedenauer Geschäfte 1900-1914 Ein Bilderbuch

Der Lauterplatz 1908. Foto: edition Friedenauer Brücke

„Kauft am Platze!“

Gab es 1873 in Friedenau erst 50 Gebäude mit über 500 Menschen, die noch alle Gebrauchsgüter mühselig aus den Nachbargemeinden herbeischaffen mussten – mit einem Fuhrwerk, dessen Haltestelle sich vor der heutigen Nicolaischen Buchhandlung befand – so war die Zahl der Wohngebäude bis 1881 bereits auf das Doppelte angewachsen und 1500 Personen mussten versorgt werden.


Tütendreherin in der Rheinstraße am Lauterplatz 1907. Foto: Archiv Stadtmuseum München


Feinkostgeschäft Wielandstraße 31, Ecke Hedwigstraße, um 1910. Foto: edition Friedenauer Brücke

Als dann 1899 Friedenau sein 25jähriges Jubiläum feierte und die Einwohnerzahl mehr als 10 000 Menschen betrug, hatten sich längst zahlreiche Geschäfte, Gewerbetreibende, Handwerksbetriebe und Gastwirte hier niedergelassen, und niemand musste sich mehr zum Einkaufen nach Wilmersdorf oder ins „ferne“ Berlin begeben. „Kauft am Platze, dann kauft ihr vorteilhaft!“ wie der Friedenauer Lokal-Anzeiger eindringlich warb. Der in Friedenau  ansässige Schriftsteller Georg Hermann hat zu diesem Thema in seinem Roman „Der kleine Gast“ eine ergötzliche Episode geschrieben, die wir in dem Buch nachlesen können.

Das Alltägliche wird zum Besonderen

Was für ein Glück, dass es soviele Fotografen gab, die durch die Stadt zogen und die Straßenbilder festhielten, die sich ihnen boten! Ihnen ist der neue Bildband der edition Friedenauer Brücke gewidmet, in dem wir die Friedenauer Geschäftswelt und ihre Umgebung betrachten können, die im frühen 20. Jahrhundert mit ihren Waren die Bevölkerung versorgte. Feinkostläden boten „Gespickte Hasen, (tägl. frisch)“, Delicatessen aller Art, Weine und Liköre, Wild und Geflügel, feines Tafelobst und Confitüren für die Gut-Betuchten an, Bäckereien und Conditoreien warben mit „Backwaren frei Haus“, Uhren- und Goldwarenhändler hatten alles für „gehobene Ansprüche“ auf Lager. Es gab auffallend viele Cigarren- und Cigarettengeschäfte, und überall sprudelte reichlich das Bier, von der Stehbier-Halle über die Eck-Kneipe bis zum feinen Kaiser-Wilhelm-Garten in der Rheinstrasse.

Überhaupt die Rheinstrasse!

Als „Lebensader“ Friedenaus, durch die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Strassenbahn fuhr (anfangs dampfbetrieben, seit 1898 elektrisiert), wies sie die größte Geschäftsdichte auf und führt den Reigen der Friedenauer Strassen im Bildband an. Aber auch hier finden sich neben großen Restaurants und Cafés (wer erinnert sich noch an das Café Wanke?) kleine Läden und Handwerksbetriebe, ein kleiner Blumenladen, die Süßwarenhandlung Cyliax, die noch nach dem 2. Weltkrieg existierte, und auch die Apotheke an der Kaisereiche gab es schon damals.

Doch auch die kleineren und größeren Friedenauer Nebenstrassen boten eine Fülle von Geschäften und Gewerbetreibenden, Milch-Trinkhallen (Sahne-Verkauf 3x tägl. frisch), sogar schon eine Auto-Reparatur-Werkstatt, eine Plätt-Anstalt, ein Geschäft für Putz und Posamenten (was war das doch gleich?) und vieles mehr, und die Drogerie Losch warb für Salon-Oel und Petroleum, ein kleiner Obst- und Gemüseladen gar mit dem Slogan „English spoken“! Und Arm wie Reich (diese vertreten durch ihre Dienstmädchen) traf sich zum Markttag auf dem Lauterplatz, der heute Breslauer Platz heißt (noch ohne das Rathaus, das erst 1916/17 erbaut wurde). Mehrere schöne Fotos zeugen vom lebhaften Treiben dort, dem Menschengewimmel, den Pferdefuhrwerken der Bauern aus der Umgebung, dem Zeitungspapiertüten drehenden Mädchen.
 
Mit dem Buch in der Hand

Und alle, alle ließen sich gern fotografieren vor ihren Geschäften, meist gleich mit Kind und Kegel. Herausgeputzt und besitzerstolz blicken sie in die Kamera und geben uns Heutigen einen Einblick in das Friedenauer Leben vor hundert Jahren, vor den beiden Weltkriegen und der Umgestaltung unserer Lebenswelt. Man möchte mit dem Buch in der Hand durch unsere Strassen gehen und schauen, und man sollte es auch tun – es lohnt sich! Jeder kann vergleichen: wie sah es früher aus, was ist daraus geworden; wie hat sich mein Haus verändert, oder ist es gleich geblieben? Da Friedenau vergleichsweise wenig vom letzten Krieg betroffen war, können wir die nicht immer schönen, aber meist interessanten Fassaden der Häuser von damals heute noch betrachten und vergleichen, ob sie nicht fast noch so aussehen wie früher. Nur die Geschäfte sind nicht mehr da, haben gewechselt, sind ausgebaut, „modernisiert“ worden; manche sind ganz verschwunden.

Wieder hat die edition Friedenauer Brücke ein schönes Friedenaubuch herausgegeben - eine ideale Ergänzung zu ihrem Buch  „Friedenau erzählt (1871 bis 1914)“.

Sigrid Wiegand


Friedenauer Geschäfte 1900 bis 1914
Ein Bilderbuch von Hermann Ebling und Evelyn Weissberg
edition Friedenauer Brücke 2010
Preis: 36,- Euro.

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Juli 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis