30 Jahre Theater der Erfahrungen

Altes Eisen: zwischen Kunstgelenken und übergrößen Pflastern tanzen Erdbeertorten und singen Mozartkugeln

Die Alten machen Theater!


Seit 30 Jahren spotten, singen, spielen Berliner Senioren im "Theater der Erfahrungen" von den Bühnen der Stadt. Sie organisieren sich in drei Gruppen und nennen sich "Spätzünder", "Bunte Zellen" oder "Ostschwung". Mal tauchen sie spontan in der U-Bahn auf und mischen die Fahrgäste auf. Mal bringen sie Schwung ins Seniorenwohnheim. Und immer wieder spotten, lachen, singen und spielen sie von den Bühnen der Stadt, auf Tourneen in der Bundesrepublik, auf Gastspielen in Frankreich, Griechenland und in der Türkei. Die drei Gruppen gehören zum "Theater der Erfahrungen", eines der ältesten Altentheater Deutschlands, gegründet im März 1980, in Berlin. Träger und Förderer des "Theater der Erfahrungen" ist das Nachbarschaftsheim Schöneberg.

Nun, zum 30. Geburtstag, schließen sich die drei Gruppen für eine Produktion zusammen: 35 Spielerinnen und Spieler zwischen 60 und 90 Jahren schreiben, proben, spielen, singen und präsentieren gemeinsam ihr Jubiläums-Musical "Altes Eisen" - eine Bestandsaufnahme über das Leben im Alter zwischen Alltagsfrust und Erdbeertorte, über den immer währenden Wunsch nach großer Liebe und über die Suche nach Ersatzteilen für die müder werdenden Knochen. Vorauseilendes Gelächter und hinterherhinkendes Nachdenken wird garantiert.

Opa Hikmet, Bäckermeister türkischer Herkunft, der sich an sein Heimatland nicht mehr so richtig erinnern mag, braucht eine neue Hüfte. Für eine Krankenversicherung hatten die Einnahmen nie ausgereicht und privat kann Opa Hikmet die notwendige Hüftoperation schon gar nicht finanzieren, trotz der sündig-roten Erdbeertorten und singenden Mozartkugeln aus eigener Produktion.


Ungewöhnliche Probleme erfordern ungewöhnliche Lösungen

Was also tun?
Die ihn heimlich liebende Nachbarsfrau, erst 70 Jahre jung und immer noch ohne Rollator, ergreift die Initiative und startet zusammen mit den Alten aus der Nachbarschaft eine turbulente Rettungsaktion mit einer unerwarteten Lösung - stets gallig kommentiert von einem Grüppchen in Ordnungsliebe erstarrter Mitmenschen.

Seit September 2009 arbeiten die deutschen und türkischen Spielerinnen und Spieler des Theater der Erfahrungen an ihrem Jubiläums-Musical: Zuerst wurden im gemeinsamen Erfahrungsaustausch die Ideen zur Geschichte entwickelt, dann Texte geschrieben, Musiker und ein Choreograf gefunden. Schneiderinnen arbeiten an den Kostümen, Kulissenbauer, Ton- und Lichttechniker sind an der Arbeit. Theaterpädagogen des Theater der Erfahrungen koordinieren die Produktion, begleiten die rund 40 Probentermine, lenken überbordende Temperamente und gelegentlichen Probenfrust in produktive Bahnen, denn schon Ende März ist es soweit:

Jubiläums-Premiere:
Donnerstag 25. März, 19:00 Uhr
Weitere Aufführungen: 26. und 27. März
Ufa-Fabrik, Berlin-Tempelhof
Viktoriastraße 10-18, U-Bahn Linie 6: Ullsteinstraße
Tickets: 5/3 Euro, Vorverkauf: Ufa-Theaterkasse: 030 - 755 030

Genau wie im Musical "Altes Eisen" wurde und wird auch in den übrigen Theaterstücken die Handlung von den Spielerinnen und Spielern selbst erdacht. Oft mischen sich dabei eigene Alltagserfahrungen mit dem gelassenen Humor des Alters zu kritischen wie komischen Theaterproduktionen, weit entfernt von beschaulichen Schunkel-Inszenierungen und betulicher Nabelschau. Hintergründig wie fordernd wird formuliert.
Satirisch-scharf blickt das Theaterstück "HARTZ IX" in die Zukunft, preist unter dem Slogan "Back to Life" lebenslanges Arbeiten bis zum Happy End - wahlweise auch den unverdienten Ruhestand im Massencontainer. Dass Liebe im Alter Verrücktes hervorbringen und unbedachte Vaterlandsliebe Verrückte stark machen kann, ist Thema in "Ach du liebes Bisschen". Schwarzer Humor und männermordende Küchenfeen dominieren den Einakter "Eine Frau wird erst schön in der Küche".


Anprobe für die Erdbeertorte mit Kostümbildnerin Anja Winkler. Fotos: Thomas Protz

Neben wöchentlichen Proben werden rund 100 Auftritte pro Jahr absolviert, in Berlin und auf Gastspielen in der Bundesrepublik, in der Türkei, in Frankreich und in Griechenland. Zahlreiche Auszeichnungen und Preise wurden im Laufe der Jahre eingesammelt, darunter auch die "Berliner Tulpe 2008" für "Allet janz anders - Hersey farkli", eine Produktion der deutsch-türkischen Theatergruppe "Bunte Zellen" über Gemeinsamkeiten von Türken und Deutschen.

Mit der ersten Probe am 17. März 1980 startete das Theater der Erfahrungen als fahrendes Volkstheater durch Berliner Bezirke, ohne festen Spielort, getragen durch das Engagement alter Menschen. Mittlerweile reisen die Spielerinnen und Spieler zu Gastspielen quer durch Deutschland, in die Türkei, nach Griechenland und Frankreich.

Im Laufe der Jahre wuchs das Theater der Erfahrungen weit über die drei Stamm-Gruppen "Spätzünder", "Ostschwung" und "Bunte Zellen" hinaus.

Zweimal pro Monat können sich theaterbegeisterte Seniorinnen und Senioren im kostenlosen Nachwuchs-Workshop "Graue Stars" auf den Bühnenbrettern ausprobieren und den Spaß am Spielen erfahren - angeleitet durch erfahrene Spielerinnen und Spieler.

In neun Berliner Bezirken wurden bereits zehn weitere Theater-, Musik- und Schreib-Gruppen gegründet, alle werden über die Aufbauphase bis hin zur Selbstständigkeit betreut. In diesem Jahr kommen in Treptow-Köpenick, Pankow und Hohenschönhausen noch drei weitere Theatergruppen, eine Gruppe für Pantomime und eine Trommelgruppe hinzu.

An kreativen Alten mangelt es also nicht. Vielmehr wächst mit den kurzen Wegen auch die Lust am kulturellen Engagement im eigenen Umfeld. Und wirklich alt ist nur, wer rostet.

Hans Ferenz

.
März 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis