Neulich auf dem Amt
Die Post unter Strom

Früher war die Post einfach nur die Post. Die Menschen am Schalter hatten sich dort fast schon wohnlich eingerichtet und man stand immer Schlange.

Inzwischen ist die Post keine Behörde mehr, die Menschen am Schalter tragen einheitliche blaue Kleidung, über den Schaltern hängen Designerlampen, die wie Ufos aussehen. Man steht immer noch Schlange. Neu ist, dass man inzwischen häufig ein zusätzliches Angebot erhält.

"Schon mal an erneuerbaren Strom jedacht?", fragte mich der Mann hinterm Schalter vor etwa einem Jahr. Die Post und Ökostrom? Er hielt mir die Broschüre unter die Nase.
"Nein danke, haben wir schon!", sagte ich und das war nicht gelogen. Erstens hatten wir Strom und zweitens waren wir schon lange bei einem Ökostromanbieter. Allerdings bei einem anderen. Ist übrigens sehr einfach, zu einem Anbieter von Ökostrom zu wechseln, und gar nicht so teuer, wie man denkt.

Der Mann zuckte nach meiner Antwort mit den Schultern. Der Nächste bitte!

Seitdem versuchte ich, wenn möglich, bei den Frauen am Schalter zu landen. Denen war es eher peinlich, Strom wie Sauerbier anbieten zu müssen. Die ließen es deshalb eher mal gut sein. Ich rätselte, wie man diese Verkaufstechnik, harmlosen Kunden, die nur Briefmarken haben wollen, ein Produkt völlig anderer Art aufzudrängen, in Fachsprache nennt. Das ist letztlich so als ob man beim Metzger statt "Darf's ein bisschen mehr sein?" die Frage: "Wollense noch einen Fernseher dazu? Nur 99 Euro!" hört.

Der Mann hinterm Schalter nahm seine Aufgabe sehr ernst. Oft hörte ich ihn im Laufe des Jahres Verkaufssätze sagen wie: "Der erneuerbare Strom is ja nur'n paar Cent teurer. Dett sollte einem die Umwelt ja wohl wert sein!" Oder psychologisch ganz geschickt: "Ick hab' den och, den erneuerbaren Strom. Die paar Cent det merk' ick fast nich'! Aber det jute Jefühl, für die Umwelt watt zu tun...!"
Ich fing an, diese Filiale zu meiden, was nicht schwer war. Ein Tabakladen bei uns um die Ecke bietet inzwischen, fast wie früher auf dem Dorf, Postdienstleistungen an. Die haben keine Zeit und anscheinend auch keinen Auftrag, Strom zu verkaufen.

Vor kurzem war ich allerdings wieder dort, wo der blau gekleidete Mann arbeitet. Zum Glück kam ich zu der Frau am Schalter daneben. Als sie mir mein Päckchen aus dem Lager holte, konnte ich das Verkaufsgespräch nebenan ein bisschen mithören. Ich war überrascht. Statt der gewohnten Worte, sagte der Mann am Ende der Transaktion: "Zufrieden mit Ihrem Stromanbieter?"
Ganz neue Taktik, dachte ich. Der Kunde zuckte mit den Schultern.
"Wir ham hier 'nen janz neuen, günstigen Anbieter. Da bin ick jetz selba hinjewechselt. Spar ick deutlich bis zu 100 Euro im Jahr. Umwelt hin, Umwelt her, dit Jeld kann man in der Wirtschaftskrise jut jebrauchen. Ick jeb ihnen mal eine Broschüre mit!"

Wie sich dieser Mix aus Post und Stromverkauf nun nennt, weiß ich immer noch nicht. Ich weiß nur, dass die Post unter ihren Mitarbeitern wahre Allroundtalente hat. Braucht sie ja auch, wenn sie von Öko- bis Atomstrom alles verkaufen will.

Isolde Peter

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März 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis