Eine Pionierin der Frauen-Bildung

Enthüllung des Grabgedenksteins für Hedwig Dohm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof. Foto: Frauke Langguth

Hedwig Dohm

Mit ihren revolutionären Ideen war Hedwig Dohm ihrer Zeit weit voraus. Einen Meilenstein des Erfolges, für den sie mit als erste kämpfte, hat sie noch erlebt: Die Einführung des Frauenwahlrechtes 1918. Den Begriff "bildungsferne Milieus" gab es zu ihrer Zeit vermutlich noch nicht, und er trifft im heutigen Sinne auf ihr gut situiertes Elternhaus auch nicht zu, der Vater, Gustav Adolph Schlesinger, war Tabakfabrikant. Und doch würde sie ihre Situation wohl genauso bezeichnet haben. Sie war intelligent, bildungshungrig und kreativ, aber lernen durfte sie nicht. Ihre Brüder, insgesamt hatte sie 17 Geschwister, besuchten das Gymnasium, sie musste mit 15 Jahren die Schule verlassen und im Haushalt der Familie helfen. Schulbildung für Frauen war zu ihrer Jugendzeit, sie wurde 1831 geboren, kein Thema. Gesellschaftlich verordnete Bildungsferne für Frauen. Sie hungerte nach Wissen und Lernen, ließ trotz Strafen und Repressalien nicht locker und durfte drei Jahre später ein Lehrerinnenseminar besuchen.
Eine Pikanterie am Rande: Wenn es ums Geld ging, sah man auch zu ihrer Zeit über gesellschaftliche Ordnungen hinweg. Ihre Eltern heirateten erst, nachdem sie bereits 10 gemeinsame Kinder hatten, nach dem Tod des Großvaters (väterlicherseits), der mit Enterbung gedroht hatte, falls sein Sohn die unehelich geborene Mutter, Wilhelmine Henriette Jülich, seiner Kinder geheiratet hätte. Immerhin erkannte der Vater die vor der Eheschließung geborenen Kinder an, damit war auch Hedwig eine geborene Schlesinger.

Während der Vorbereitung einer Spanienreise - Hedwig besuchte ihren dort lebenden ältesten Bruder - lernt sie ihren späteren Ehemann Ernst Dohm kennen, sie heiraten 1853. Ihren vier Töchtern (ihr einziger Sohn stirbt früh) ermöglicht sie eine fundierte Schul- und Berufsausbildung. Ihre Enkelin Katia (die Tochter ihrer Tochter Hedwig), heiratet 1905 Thomas Mann. 

Durch ihren Ehemann, Ernst Dohm war Chefredakteur der satirischen Zeitschrift "Kladderadatsch", kommt sie mit der geistigen Elite Berlins in Kontakt. Sie pflegt einen beliebten "Salon" mit illustren Gästen wie Theodor Fontane, Alexander von Humboldt, Franz Liszt und Fritz Reuter. Inspiriert von ihrem längeren Spanienaufenthalt bildet sie sich autodidaktisch weiter und veröffentlicht 1867 ein Werk über die spanische Nationalliteratur.

Ihre ersten feministischen Forderungen publiziert sie 1872 in einem Essayband, dem drei weitere noch im selben Jahrzehnt folgen. Ihre radikalen Forderungen für rechtliche, soziale und ökonomische Gleichstellung der Frauen und das Frauenwahlrecht machen sie berühmt, stoßen aber auch auf herbe Kritik. Selbst den sich zu der Zeit erst zögerlich bildenden Frauenbewegungen sind Hedwig Dohms Ideen zu radikal. Die bürgerlich-feministischen Forderungen zur Verbesserungen der Situation der Frauen beschränken sich zunächst auf erweiterte Schulbildung für Mädchen und die Versorgung lediger Mütter, da liegen Hedwig Dohms revolutionäre Gedanken zu Frauenwahlrecht und finanzieller Gleichberechtigung noch in weiter Ferne.
Aber Hedwig Dohm wird nicht nur durch feministische Forderungen bekannt: Ende der 1870er Jahre schreibt sie Lustspiele, die mit großem Erfolg in Berlin aufgeführt werden.
 
Ihre publizistische Tätigkeit nimmt sie erst wieder Ende der 1880er Jahre auf, als auch die erstarkende Frauenbewegung Mut genug beweist, sie gedanklich einzuholen und auch entsprechend zu publizieren wagt. Jetzt treffen Hedwig Dohms radikale Ideen auf offene Ohren und sie veröffentlicht Artikel und Essays in den neu entstandenen progressiven Zeitschriften. Sie setzt sich unter anderem für eine umfassende Bildungsreform ein, wird Mitbegründerin von Frauenvereinen und verfasst bis zu ihrem Tod 1919 zahlreiche Essays zu Politik und Literatur.


Hedwig Dohm

Im ersten Weltkrieg outet sie sich als kompromisslose Pazifistin. Den Kritikern ihrer feministischen Essays begegnet sie mit humorvollen Repliken, in denen sie deren gesellschaftliche Doktrinen als "dümmliche Verteidigung von Machtansprüchen" entlarvt. Und - sie vertritt die Meinung, dass Mutterliebe und die damit verbundene Fürsorge kein Naturtrieb, sondern eine rein umgebungs- und erziehungsbedingte Rolle sei. Die damit verbundenen Aufgaben wie Haushalt und Kindererziehung könnten durch Institutionen erledigt werden, dadurch würden Frauen nicht automatisch auf eine Mutterrolle und Haushalt beschränkt. - Auch mehr als Hundert Jahre später: Diese Diskussion dauert an.

Hedwig Dohm lebte viele Jahre in der Potsdamer Straße, begraben ist sie auf dem Matthäus-Friedhof in Schöneberg. Der Journalistinnenbund hat 2007 einen Gedenkstein für ihr Grab gestiftet und vergibt jedes Jahr die Hedwig-Dohm-Urkunde an Kolleginnen für frauenpolitisches Engagement.

Rita Maikowski

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März 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis