Kläuschen ist weg!
Neues aus der Anstalt

Als ich vor 15 Jahren in das Friedenauer Mietshaus zog, in dem ich immer noch wohne, traf ich im Hausflur auf eine seltsame Gestalt: klein, ausgemergelt, zerstrubbelt, die mich breit angrinste.

Oh, dachte ich, der versoffene Hauswart, mit dem darfst du es dir nicht verderben und stellte mich als neue Mitbewohnerin vor, was mit Kopfnicken und einem undeutlichen Genuschele quittiert wurde. Mit der Zeit kriegte ich mit, was es mit ihm auf sich hatte. Er war „nicht ganz dicht“, meschugge, sagten manche, ich kenne die genaue Diagnose nicht; unser „Hausverrückter“ sozusagen.

Oft stand er im Hausflur oder vor der Tür, manchmal traf ich ihn auf der Straße oder im Supermarkt – anscheinend hat er ein großes Bewegungsbedürfnis - und immer grüßte er freundlich und erzählte mir etwas, was ich meist nur unvollständig verstand wegen seiner verwaschenen Sprache. Wenn er dann mein ratloses Gesicht sah, gab er sich viele Mühe, noch einmal alles ganz deutlich zu sagen. Als ich einige Zeit mit Krücken gehen musste, erkundigte er sich besorgt nach meinem Befinden, hörte sich meine Klagen an und vergaß nie, mir gute Besserung zu wünschen. So lebte er mit und unter uns in seiner Wohnung, offenbar bedingt in der Lage, für sich zu sorgen. Täglich kam ein Pflegedienst und verpasste ihm seine Spritzen. „Deinen Müll könntest du auch mal wieder rausbringen“ hörte ich einmal durch die offenstehende Tür. In früheren Jahren krakeelte er manchmal in seiner Wohnung. „Er hat wieder getrunken“, sagten Nachbarn, „er weiß doch, dass er das nicht darf!“ Ich fand es etwas seltsam, ausgerechnet von einem „Verrückten“ Vernunft zu erwarten.

Nun hat es ihn doch erwischt. Ich hatte ihn schon eine Weile nicht mehr getroffen und machte mir Gedanken, ob es ihm so schlecht ginge, dass er für eine Weile in die Klinik musste, was ab und zu vorgekommen war. Doch dann kamen Handwerker und rissen in seiner Wohnung die Dielen auf, ich erfuhr von ständig überlaufendem Wasser und ähnlichen Katastrophen und dass es nicht mehr gegangen sei. Nun wäre er „im Heim - wo er ja auch hingehört“...

Mach's gut, Kläuschen. Hoffentlich haben sie dich nicht ausgerechnet dorthin gebracht, „wo man am liebsten aus dem Fenster springen möchte“, wie du mir einmal erzählt hast. Jemand will dich allerdings in der Berliner Straße gesehen haben, vielleicht bist du ja in einer betreuten Gemeinschaft untergekommen. Ich wünsche dir viel Glück.

Sigrid Wiegand

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Mai 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis