Was lange währt, wird endlich gut

Unterirdische Vorrfluter: Baustelle in der Varziner Straße
Foto: Thomas Protz

Die Trockenlegung der Friedenauer Senke

Glücklicherweise hat Theodor Storm für uns aufgeschrieben, was ihm einst von einem sachkundigen Schulmeister in einer Sturmnacht beim Punsch über den Deichgrafen Hauke Haien erzählt worden war.

Den Bewohnern der Friedenauer Senke um den Friedrich-Wilhelm-Platz wird vieles davon bekannt vorkommen, manches aber auch merkwürdig. So heißt es in seinem „Schimmelreiter“, dass sich dem abergläubischen Volk das kommende Unheil in allerlei Vorzeichen bereits angekündigt habe, bevor es dann auch tatsächlich eintraf.

Danach war „droben von der Turmspitze der goldene Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen worden. Im Hochsommer fiel, wie ein Schnee, ein groß Geschmeiß vom Himmel, dass man davor die Augen nicht auftun konnte und es hernach fast handhoch auf den Fennen lag, und hatte niemand je so was gesehen.“ Und die Magd Ann Gret bringt zudem vom Markt noch größere Schreckensmeldungen mit:
„An der anderen Seite geht’s noch schlimmer als bei uns! Nicht bloß Fliegen und Geschmeiß, auch Blut ist wie Regen vom Himmel gefallen; und da am Sonntagmorgen danach der Pastor sein Waschbecken vorgenommen hat, sind fünf Totenköpfe, wie Erbsen groß, darin gewesen, und alle sind gekommen, um das zu sehen; im Monat Augusti sind grausige rotköpfige Regenwürmer über das Land gezogen und haben Korn und Mehl und Brot, und was sie fanden, weggefressen, und hat kein Feuer sie vertilgen können!“

DER TAG, ALS DER REGEN KAM

Von solchen Vorzeichen war in Friedenau nichts bekannt,als am 28.8.2002, gewissermaßen aus heiterem Sommerhimmel, ein Unwetter von historischen Aus-maßen niederging. Zwar ist hier schon immer in überschaubaren Abständen „Land unter“ gemeldet worden, sodass die Alteingesessenen vom Jubel bootfahrender Kinder berichten.Und die Teilnehmer an den legendären Diskussionen im „Buchhändlerkeller“ mit Günter Grass und anderen Literaten Ende der sechziger Jahre in der Görresstraße haben so manche Erinnerung an Unterbrechungen durch die Bildung von Not wendenden Wassereimerketten. Aber dieser Augusttag überstieg das bislang Bekannte. In einem gigantischen Andrang liefen Keller und Tiefgaragen so-wie Souterrainwohnungen und Warenlager voll mit Wasser, das sich hier mit Heiz- und Hydrauliköl mischte.

Die Folge waren Schäden, die in die Hunderttausende gingen. Autos waren in wenigen Stunden zu Schrott geworden, Elektroanlagen mussten komplett erneuert werden, dem Nahkaufladen in der Görresstraße vernichtete die Flut nicht nur das Warenlager im Untergeschoss, sondern über einen Kurzschluss und den daraus folgenden Ausfall der Kühltruhen im Laden auch noch die hier umfänglich bereitgestellte Kühlkost. Und selbst Bausubstanz kam zu Schaden.

Auch das zu dem Szenario passende Sinnbild fehlte nicht: An der Ecke Taunusstraße sprang aus dem überforderten Gully über das halbmeterhohe Wassermeer hinaus eine meterhohe Fontäne, das Zeichen für den Triumph der Elemente.Dieser naturgewaltige Springbrunnen erinnerte wiederum historisch bewanderte Anwohner an den “Sintflutbrunnen“ an der Lauterstraße, der einst auf dem Südwestkorso gestanden hatte, und der ein Geschenk der führend am Ort tätig gewesenen Immobiliengesellschaft war.

Deren Direktor Haberland sprach auf der Einweihungsfeier im Jahre 1909 von der Sintflut als jener Umwälzung auf Erden, aus deren Schrecknissen „die warme Sonne des Friedens auf die Erde niederleuchtete, dass aus dem nassen Grabe der Erde ein neues schönes und üppiges Weltall entstand.“ Die Friedenauer Sintflutgeschädigten des Jahres 2002 dagegen richteten ihren Blick weniger auf die Sonne und das neue Weltall, sondern mehr auf die Ursachenforschung an der Ecke.

Sie gründeten sofort eine Bürgerinitiative, die schnell auf über 900 Personen anwuchs, nahmen Kontakt zu den Wasserbetrieben, zu Politik und Verwaltung auf und wurden schließlich auch bei der Problemlösung fündig. Als Hemmnis für einen ausreichenden Wasserabfluss wurde eine Unterlassung beim U-Bahnbau am Bundesplatz ausgemacht. Dort nämlich hatte man eine Unterquerung der Tunnel-röhre eingespart und es bei der bestehenden Auslegung des Systems von 1895 belassen, was sich nun als verhängnisvoll erwies.Denn was in den alten Zeiten der noch nicht flächendeckend versiegelten Oberfläche als ausreichend gelten konnte, zeigte sich nun als Problemverstärker.

STATT DER ALTEN LEIER NUN DIE FEIER

Die „Deichgrafen“ vom Lenkungsausschuss der BI „Überflutung Friedenau“, und hier in vorderster Linie das Ehepaar Kramer aus der Taunusstraße, loben die gutwillige und transparente Zuarbeit der Wasserwerke und den unermüdlichen Einsatz von Florian Graf (CDU), der das Anliegen über die BVV und das Abgeordnetenhaus in die betroffenen Verwaltungsstellen trug. So konnte am Ende ein Dreistufen-plan verabredet und inzwischen auch in Angriff genommen werden. Danach ist ein in seiner Aufnahmefähigkeit um mehr als das Doppelte aufgestockter Mischwasser-Entlastungskanal für das Siedlungsgebiet Friedenau vorgesehen. Wie Dipl.-Ing Henry Blaschke in seinem Schreiben an die BI vom 7.9.10 mitteilt, erstreckt sich dieser Kanal vom Vorflutpunkt Prinzregentenstraße bis zur Stubenrauchstraße/Goßlerstraße und „weist eine Länge von 1900 m einschließlich diverser Sonderbauwerke wie Überlaufwerke sowie einen Düker im Bereich der Querung der U-Bahnlinie 9 und des Straßentunnels aus.Darüber hinaus sind, wie bekannt, weitere Kapazitätsverstärkungen im vorhandenen Mischwassernetz des Siedlungsgebietes geplant.“

Der erste Bauabschnitt an der Varziner Straße ist soeben erfolgreich abgeschlossen worden. Der nun folgende ist der aufwändigste und komplexeste Teil des Bauvorhabens, denn sein wesentlicher Kern ist der Bau des nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren funktionierenden Dükers zur Querung der U-Bahn.Da es sich hierbei um das Kernstück des gesamten Vorhabens handelt, will die BI den Baubeginn im kommenden Jahr zum Anlass nehmen, mit einem Straßenfest die endgültige „Trockenlegung“ des Friedenauer „Sintflutbeckens“ gebührend zu feiern.

Wie wäre es denn eigentlich, wenn auf diesem Fest die Friedenauer Senke als neuen Namen die Bezeichnung „Deichgrafen-paar-Kramer-Koog“ erhielte? Schließlich gibt es doch zur Erinnerung an den „Schimmelreiter“ in Friesland auch den Hauke-Haien-Koog.

Ottmar Fischer




November 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis