Altgedient, charakterstark und belebt

Einführung von Rev. Stephan Kienberger
Foto: Thomas Protz


The American Church in Berlin

Amerikaner sind schon länger Bestandteil der Berliner Gesellschaft. John Quincy Adams, 6. Präsident der Vereinigten Staaten, arbeitete zu Anfang seiner politischen Karriere in der Berliner Gesandtschaft und wurde ab 1797 der erste offizielle US-Botschafter in Preußen. Ihm folgten Entrepreneurs, Geschäftsleute und Freiberufler, wie der Zahnarzt F. P. Abbott, der seine Praxis in Berlin 1851 eröffnete. Auch der legendäre Literat Mark Twain begann seinen 9-jährigen Europaaufenthalt mit einigen Monaten in Berlin. Von der Stadt war er offenkundig begeistert: er schickte später seine beiden Töchter in die (alte) neue deutsche Hauptstadt zum Studium.

Die englischsprachige Community Berlins wuchs im 19. Jahrhundert langsam aber stetig. Um etwa 1865 hielten es einige in Berlin US-Kirchengemeinden, wie die Evangelisch-Lutherische Kirche es für sinnvoll, eine eigene Berliner Gemeinde zu gründen. 1902 wurde ein eigener Kirchenbau mit neogotischer Architektur am westlichen Ende der Motzstraße, gleich unterhalb des Nollendorfplatzes, errichtet. Zur Zeit ihrer Einweihung wohnten annähernd 19.000 Amerikaner in Berlin. Diese American Church brannte ironischerweise 1943 bei einem Luftwaffenangriff der US-Army-Air-Forces aus; die Baureste wurden Anfang der 1950er Jahre abgetragen. Nach dem Krieg wurde die Gemeinde in der Ernst-Moritz-Arndt-Kirche – einem Bau aus der NS-Zeit – in Berlin-Zehlendorf untergebracht. 1964 zog die Gemeinde in die, auf Weisung von Friedrich II erbaute, achteckige Zehlendorfer Dorfkirche ein. Dort blieb die Church bis Herbst 2002. Dann erwarb die Gemeinde die Luther-Kirche auf dem Dennewitzplatz nahe dem Schöneberger Bülowbogen.

Seit Sommer 2010 hat die Gemeinde, die innerkirchlich gern das Akronym ACB benutzt, einen neuen Pastor. Reverend Stephan Kienberger, 53, stammt ursprünglich aus dem Pazifischen Nordwesten der USA. Deutschland-Erfahrung hat er mitgebracht; der Geistliche studierte zwei Jahre in Erlangen, zwischen 1981-83. Danach hat er in den USA, sowie neun Jahre in der Karibik und kürzere Zeiten in Palästina und Afrika ministriert. Vor seinem Posten in Berlin betreute er vier Jahre die American Lutheran Congregation in Oslo. Pastor Kienberger ist verheiratet und hat zwei Kinder, die mit ihm in Berlin wohnen. Er spricht vier Sprachen, dazu ein wenig modernes Hebräisch.

Bequem sitzend im Ledersessel seines Büros im Gemeindehaus der Königin-Luise-und-Silas-Kirchengemeinde in der Schöneberger Leberstraße wirkt Kienberger eher wie ein mildtätiger Professor als ein rotierender Vikar. Obwohl er, wie alle anderen Pfarrer der Gemeinde, aus den USA stammt, betont Kienberger die Internationalität und Überkonfessionalität der Church. „Wir sind englischsprachig, aber nicht bloß angloamerikanisch. Unsere Gemeinde besteht aus einer Mischung von neuen Immigranten, Asylanten, Botschaftsangehörigen, Geschäftspersonen und Studenten. Außerdem kommen nicht nur Protestantische zu unserer Gemeinde, sondern auch Katholiken und Orthodoxe.“ Immerhin bietet das bezeichnende Wort „American“ dem Kirchgänger, egal welcher Herkunft, eine positive Resonanz. „In den Erdecken, wo der christliche Glaube derzeit am stärksten wächst, werden Amerika und seine kulturellen Werte sehr hochgeschätzt.“

Aus diesem Grund, erklärt Kienberger, wird alljährlich das amerikanische Erntedankfest, das Thanksgiving, das in den USA immer am 4. Donnerstag im November gefeiert wird, in der Gemeinde zelebriert. Das Festessen gedenkt der Kooperation zweier unterschiedlichster Kulturen – der der Ureinwohner Amerikas und der englischen Puritaner. Die Urbevölkerung hat, laut geschichtlicher Überlieferung, den Kolonisten in der ersten harten Zeit in „Neuengland“, zum Anfang des 17. Jahrhunderts, zu überstehen geholfen. Als die Neulinge sich in dem neuen Land etablieren konnten, feierten die beiden Völker ein Bankett zusammen, mit Gerichten und Getränken aus dem Proviant der neuen Welt. „Hier in Berlin haben wir auch eine Situation, in dem viele fremde Kulturen aufeinander treffen“, bemerkt Kienberger. „Deshalb wird dieses höchst amerikanische Fest in unserer höchst internationalen Gemeinde gern gefeiert.“

Die Gemeinde Kienbergers ist eine flüchtige; diese besteht zwar aus einer konstanten Zahl von ca. 300 Personen, jedoch bleiben nur wenige Gemeindemitglieder (engl. Parishioners) mehr als ein paar Jahre in Berlin. Einer der Langjährigen heißt Kumar Vasanth. Der gebürtige Inder steht seit zweieinhalb Dekaden mit der Gemeinde in Verbindung. „In Indien leben sehr viele Christen“, sagt der 63-jährige zu seinen Wurzeln. „Allein zu den Lutheranern zählen dort an die zwei Millionen Menschen.“ Herr Vasanth ist als Building Manager (Gebäudemanager) bei der ACB tätig. Er sorgt unter anderem für den reibungslosen Ablauf der Lebensmittelverteilungsaktionen “Laib und Seele” der Berliner Tafel e.V., an der die Kirche beteiligt ist, und koordiniert alle Instandhaltungsarbeiten an der Kirche.

Die Luther-Kirche wurde Anfang bis Mitte der 1890er Jahre erbaut. Diese ist, wie die originale American Church, in dem für Kirchenbauten dieser Epoche üblichen neogotischen Stil gestaltet worden. Auch die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt; drei Emporen, inklusive die der Orgel, wurden zerstört. Die Buntglasfenster, bemerken Kienberger sowie Vasanth mit Bewunderung, wurden in der Nachkriegszeit mit gesammeltem Kirchenfensterglas, das neben den vielen beschädigten Berliner Sakralbauten herumlag, wiederhergestellt.

Zur Zeit arbeitet Pastor Kienberger mit anderen Berliner Geistlichen der evangelischen, römisch-katholischen, orthodoxen, jüdischen sowie islamischen Gemeinden an einer 9/11-Gedenkzeremonie für die Hauptstadt zum Gedenken an den Anschlag in New York vor 10 Jahren. Die Gedächtnisfeier soll erinnernd und erhebend sein, ohne Kitsch und Klirren. Kienberger bewertet den vorgesehenen Ablauf des nächstjährigen Gedenktags als eine Form der „Vergangenheitsbewältigung, bei der verschiedene Menschen und Kulturen zueinander finden sollten.“ Keine leichte Aufgabe – aber eine, für die Kienberger seine weitläufige Welterfahrung gut einsetzen kann.

T. W. Donohoe

(Reservierungen für das Thanksgiving-Fest, das am Samstag den 27.11.2010 um 18:00 stattfindet, können per Email unter acb.events@email.de oder 03212-332 332 gebucht werden. Erwachsene zahlen 22,- ermäßigt 8,- Euro nach Absprache. Reservierungsfrist ist der 15.10. 2010.)


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