Die Berliner Schulreform

Ein langfristiges Ziel, die Gemeinschaft in der Rubensstraße / Foto: Thomas Protz

Nobelpreisträgerin 2048 dank Sekundarschule?

Esra, so steht es auf großen Plakaten in Berlin, ist sprachbegabt und sucht nach einer Sekundarschule, auf der sie auch Chinesisch lernen kann. Auf der Webseite der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung sucht man allerdings vergebens nach einer solchen Schule.

Dort werden nur Gymnasien an-gezeigt, die Chinesisch anbieten. Über die einzelnen Sekundarschulen ist in der Datenbank ohnehin noch nicht allzu viel zu erfahren. Esra und ihre Eltern werden Geduld aufbringen müssen...

Die Berliner Schulpolitik zeigte in den letzten Jahren große Experimentierfreude. Zuerst kamen jahrgangsübergreifendes Lernen (JÜL) und die Schulanfangsphase (SAPH) an den Grundschulen, nun sind die Oberschulen dran. Neben den Gymnasien gibt es zukünftig nur noch Sekundarschulen. Realschulen und Hauptschulen werden nicht mehr als einzelne Schulform existieren, sondern zusammengelegt. Wie sieht das in der Praxis aus?                                                                                                                                                    
Die 8. Integrierte Sekundarschule in Tempelhof-Schöneberg entsteht zum Beispiel durch Zusammenlegung der Waldenburg-Oberschule in der Otzenstraße und der Teske-Oberschule am Tempelhofer Weg. Im Moment befinden sich noch drei Jahrgänge von Realschülern in der Teske-, drei Jahrgänge von Hauptschülern in der Waldenburgoberschule.

Die neuen vier 7. Klassen der Sekundarschule sind bereits am Grazer Platz. Das hört sich kompliziert an und ist es auch. Vor allem ist es räumlich an diesem Standort, der mit der Grundschule geteilt wird, recht knapp. Etliche Gebäudeteile der Peter-Paul-Rubens-Schule sind stark renovierungsbedürftig, ein schlüssiges Raumkonzept fehlte.
 
Im Gespräch mit Sekundarschuldirektor Michael Kämmerer und Konrektorin Renate Zühlke wird schnell klar, dass sowohl Schulleitung als auch der Großteil der Lehrer und Lehrerinnen sehr engagiert auf diese Herausforderung reagiert haben. In Eigenintiative wurden und werden auch noch weitere Räume renoviert. Wunsch vieler Eltern an der Grundschule ist es, beide Schulen – Grund- und Sekundarschule – langfristig zu einer Gemeinschaftsschule zu entwickeln. Die Schüler könnten dann bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen und gegebenenfalls in einer gymnasialen Oberstufe oder in einem kooperierenden Oberstufenzentrum das Abitur ablegen.


In Pankow, Charlottenburg oder Moabit gibt es Gemeinschaftsschulen, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Es scheint also sinnvoll, ein ähnliches Angebot auch in Schöneberg anzubieten. Die Schulleitung der 8. Sekundarschule hat jedenfalls einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Die Schulaufsicht bzw. der Schulträger müssen nun entscheiden.

Sekundarschulen weisen gegenüber den Gymnasien gewisse Vorteile auf, zum Beispiel eine deutlich geringere Klassenstärke von höchstens 24 Schülern und mehr Zeit für das Abitur (13 statt 12 Jahre). Auch das Lernkonzept wirkt sehr modern, die Eigenverantwortlichkeit der Schüler wird gestärkt. Sie sollen selbstständig lernen und werden individuell gefördert. Es gibt kein Sitzenbleiben mehr und das Angebot im musisch-künstlerischen sowie im sportlichen Bereich ist sehr gut. Auch die Ausstattung mit Lehrkräften sei im Moment gut, erklärt Kämmerer. Für alle Beteiligten – Eltern, Lehrer, Schüler – wäre es allerdings wünschenswert gewesen, mehr Zeit zu haben, um langfristig planen zu können. So wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen, welches Profil und welchen Ruf sich Sekundarschulen erarbeiten können.                                                                                      
Ob es sinnvoll ist, dass die Senatsverwaltung auf Plakaten mit Kindern, die bereits als Nobelpreisträgerin oder Bundeskanzler in spe tituliert werden, für ihre Reformen wirbt? Die Kluft zwischen den Erfahrungen an vielen Schulen und diesem Wunschbild ist denkbar groß. Die Experimentierfreude in allen Ehren - im Alltag sind es häufig die schlechten Rahmenbedingungen in vielen maroden Schulgebäuden (furchtbare Schulklos, räumliche Enge, hässliche Schulhöfe), für die man sich naheliegende und unbürokratische Lösungen wünschen würde. Zukünftige Bundeskanzler oder Nobelpreisträgerinnen haben sicherlich bessere Alltagsbedingungen an der Schule verdient.

Isolde Peter

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Oktober 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis