Wenn Alte ihre Talente entdecken - ein Bericht vom 4. Senioren-Kultur-Tag in Berlinen

"Das tut nicht weh, macht Spaß und eigentlich kann es jede und jeder..."

„Richtig schön ausschütteln!“

10. September, 14 Uhr, der Saal ist voll, es geht los: Rund 80 Frauen und Männer haben sich versammelt. Ihr Alter schwankt zwischen „50-Plus bis lässige Neunzig“, so stand es zumindest auf den stadtweit verteilten Einladungen. Veranstalter ist die „Werkstatt der alten Talente“. Traditionell wandert der Seniorenkulturtag durch die Bezirke, in diesem Jahr war er zu Gast im Nachbarschaftshaus am Teutoburger Platz in Prenzl’Berg.
 
„Kulturelle Angebote sollen von allen Menschen genutzt werden können, auch dann, wenn sie von Hartz-IV leben müssen“, forderte Dr. Eberhard Löhnert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband eindringlich in seiner Eröffnungsrede und meinte damit nicht nur den Besuch von Veranstaltungen. Vielmehr soll allen auch die Möglichkeit offen stehen, Kultur durch eigenes Engagement gestalten zu können.

„Wenn Familienministerin Schröder begeistert feststellt, dass Alte eine wichtige Rolle in der Betreuung kranker Menschen spielen können, in dem sie ihnen etwa jeden Tag aus der Zeitung vorlesen“, dann ist das eine „sehr einfache Vorstellung vom sozialen Engagement alter Menschen“, kommentierte Dr. Löhnert kopfschüttelnd, „etwas komplexer und anspruchsvoller sehen wir das schon“. Eigene ‘kreative Potentiale‘ entdecken, „eigene Ideen für andere in das Gemeinwesen einbringen und so die Gesellschaft mit gestalten“, sei eine sehr viel weiter gehende, aktive Form von sozialem Engagement, sagte Dr. Eberhard Löhnert in seiner Eröffnungsrede. Seit vielen Jahren fördert der DPW zusammen mit dem Nachbarschaftsheim Schöneberg die ‘Werkstatt der alten Talente‘.

Wie weit solch kreatives, soziales Engagement gefasst werden kann, welche Möglichkeiten und Entwicklungen kreative Arbeit für alte Menschen bietet, konnten dann auch gleich alle Anwesenden selber ausprobieren und erfahren. Sechs Workshops in sechs Räumen stehen zur Auswahl, angeleitet von professionellen Künstlern, Theater- und Gesangspädagogen:

„Das tut nicht weh, macht Spaß und eigentlich kann es jede und jeder“, kommentiert die Sängerin und Gesangpädagogin Robin Lyn Gooch, die ersten Bedenken ihrer 12-köpfigen Laien-Gesangtruppe und gurgelt auch sofort laute und leise Töne in den Raum, spielt spontan mit Tonhöhe und Rhythmus. Mal beiläufig mit einer Geste, mal mit breitem Lachen begegnet sie jeder Scheu, ihr improvisiertes Klangspiel nachzuahmen: „Du schaffst das! Alles ist richtig“.

Gegen Anspannung hilft „richtig schön ausschütteln“, erklärt die Tanzpädagogin Franziska Bartsch und lässt hüpfend ihren Kopf hin und her baumeln, bevor es im Takt weitergeht: „seit - ran - seit - ran - vorwärts - vorwärts - stehn! Fühlt euch wie im Ballsaal!“ Die Laien-Tänzerinnen strahlen königlich. Fast drei Stunden dauern die Workshops, dann werden die Ergebnisse im großen Saal vorgeführt. Die Begeisterung ist groß. Applaus ist der Lohn nach jeder Präsentation. „Spaß gemacht hat es, so richtig!“, lautet unisono der Kommentar der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, „und professionell war es auch“.

Ein Konzert des Duos „cardenas valesco“, mit Gitarre und Bandoneon, beendet den 4. Seniorenkulturtag, gibt Zeit den Gedanken nachzuhängen, das Erlebte einzuordnen und Kultur einmal nur zu genießen.

Als gegen 21:30 Uhr der letzte Gast das Nachbarschaftszentrum verlässt, sind beinah alle Faltblätter vergriffen, die über die ‘Werkstatt der alten Talente‘ informieren. Denn wer am Ende des Tages Lust und Laune auf mehr kreatives Engagement bekommen hat, kann bei einem der stadtweit zwölf „Kreative Potentiale“-Gruppen der Werkstatt einfach weiter machen: Theater oder Pantomime spielen, Trommeln oder Schreiben. Kostenlos. Hier können Senioren-Kultur-Tage viele Jahre andauern.

Hans Ferenz


Theater der Erfahrungen - Werkstatt der alten Talente
Cranachstraße 7
12157 Berlin
Tel 8 55 42 -06
www.theater-der-erfahrungen.de



Oktober 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis