Schön bunt

Bierpinsel, in bunten Farben
Foto: Thomas Protz


Eine Freilicht-Galerie in 46-Meter Höhe: Der Steglitzer Bierpinsel, mit bunten Farben beschichtet

Über Architektur lässt sich im Kunstkreisen streiten. Wie bei der Kleidermode, laufen die Geschmäcke weit auseinander. Der Zeitgeist – und dabei die Kunstgattung – ändert sich im Jahrzehntetakt. Und ähnlich wie bei Bekleidung werden bestimmte Epochen bejubelt oder gehasst.


Bierpinsel, in bunten Farben
Foto: Thomas Protz


Die Architektur der 1970er Jahre wird oft mit negativen Adjektiven beschrieben: mal misslich, mal hässlich, mal schrill oder schräg. Mitten in Steglitz steht allerdings eines der interessantesten Bauten des Poparchitektur-Designs der 1970er Jahre in Europa: Das Turmrestaurant Steglitz, im Volksmund „Bierpinsel“ genannt. Der Bau, das vielleicht eher wie eine riesige Rasenmäher-Motorhaube als ein Rundquast aussieht, sitzt auf einem gigantischen Treppensockel und ragt, als integrierter Bestandteil der Joachim-Tiburtius-Brücke, seit 1976 hoch über die Bundesautobahn 103. Die bis vor kurzem Signalrot gestrichene Gondel ist seit dem ein Wahrzeichen für die beliebte Einkaufmeile Schlossstraße.

Nach häufigen Besitzerwechseln in den letzten Jahren wurde der Bierpinsel von Geschäftsunternehmerin Larissa Laternser 2007 als Kunst- und Veranstaltungsobjekt weitergeführt. Frau Laternser, Jahrgang 1981, ist geborene Steglitzerin. Sie störte es, dass „der Turm nur noch vor sich hin vegetierte.“ Laternser, die sowohl Master of Business als Bachelor of Engineering Diplome besitzt, ergriff den Lösungsweg. Erst wurde der Turm erworben. Dann wurde ein neues Nutzungskonzept entwickelt, das eine Verbundenheit mit gehobener Kunst und Kultur aufweisen sollte. Letztendlich wurde eine effektive Reklamestrategie in Form einer Freilichtgalerie, eine die von der ganzen Schlossstraße gesichtet werden kann, ausgearbeitet.

„Es ist ein fantastisches Objekt“, sagt Diplomingenieurin. „Meine Vision war immer, dass die Menschen das mit ein wenig Hilfe auch wieder erkennen und den Turm erneut in ihr Herz schließen.“ Gesagt und getan. Eine internationale „Streetart“-Künstlertruppe, die nun unter den Namen „Turmkunst 2010“ wirkt, wurde ins Leben gerufen, um den Turmrumpf mit farbenfrohen Anstrichstoffen flächendeckend zu versehen.

Die Grafitti-Art-Gruppe ist international; ihre Angehörigen, alle männlich, agieren unter Namen wie Flying Förtress (aus Deutschland), Honet (Frankreich), Soyzone (Belgien) und Craig „KR“ Costello (USA). Ihre selbstangegebene „Team-Formel“ lautet:

1 Turm
2000 Liter Farbe
3 Kuratoren
4 Künstler
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Turmkunst 2010

Nach ihrer Sprühaktion im Frühjahr 2010 wirkt der Gondel bunt und lebendig, bedeckt mit Mustern, die fern an den Graffiti- & Popartkünstlern Keith Haring und Jim Avignon erinnern.

Die Umgestaltung war nicht unumstritten. Architektenehepaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, die auch das futuristischen Internationale Congress Centrum (ICC) in Berlin-Westend entwarfen, hatten bedenken, als Laternser sie über ihr Vorhaben informierte. Laternser sagt dazu, „(...ich) glaube Sie (die Architekten, Anm. d. R.) haben sich zunächst Sorgen um das Wort Graffiti gemacht. Natürlich will kein Architekt, dass sein Lebenswerk verschandelt wird. Ich hoffe, das Ergebnis und die Aufmerksamkeit, die das Bauwerk, nun erhält gefällt den Architekten.“

Dr. Astrid Epp, Betreiberin einer Website namens „rettet-den-bierpinsel.de“, ist, laut eigener Beteuerung, von der Streetart-Aktion "wenig überzeugt". Dr. Epp, Jahrgang 1971, stammt aus dem Rheinland und wohnt seit 2005 in Friedenau. Die Soziologin hatte vermutlich noch früher Bedenken gehabt, als Frau Laternser es 2007 beabsichtigte, den Turm komplett mit silberner Farbe bestreichen zu lassen. So plaudierte sie derzeit über ihre Website dafür, dass der Turm, als anerkanntes Wahrzeichen der (West-) Berliner Nachkriegsmoderne, ihren ursprünglich roten Anstrich behalten sollte. "Bedauernswert wäre es (...), wenn der Bierpinsel silbern würde, weil er damit als charakteristische Landmarke verschwinden würde. Der Bierpinsel prägte - neben seiner Form - auch mit seiner roten Farbe das Bild der Schlossstraße." Im Allgemeinen, wenn von einer Umgestaltung gesprochen wird, handelt es sich, wie auf der Website zu lesen, „(…oft) um Veränderungen, deren Ziel es ist, die Gebäude zu 'modernisieren', das heißt, den aktuellen ästhetischen Vorstellungen anzupassen, wodurch sie den Gebäuden zugleich aber ihren Charakter rauben.“

Frau Laternser sieht dies offensichtlich anders. Dennoch ist eine Versilberung nicht mehr aktuell. Der Bierpinsel wird, laut Laternser, bis nächstes Jahr bundscheckig bleiben. Zudem sieht die Unternehmerin die Künstleraktion als Erfolg an. Ihre Fachkenntnisse in der internationalen Betriebswirtschaft haben mit dazu beigetragen, dass die Kunstaktion „Presseanfragen und Feedback aus der ganzen Welt erhalten (habe): Kürzlich schrieb ein Architekturmagazin aus Hong Kong über das Gebäude und die Aktion, eine Tageszeitung aus Rio berichtete mit Fotos und in Russland haben Blogger den Film (eine Projektdokumentation) hoch gelobt“.

„Auch lokal kommt das Projekt sehr gut an“, meint Laternser weiter. „Den Berliner Bären, den das Künstlerduo Innerfields (zwei Steglitzer!) kürzlich an den Stamm des Turms gesprüht haben, hat sogar Klaus Wowereit bewundert. Das Image des Turms hat durch die Kunstaktion enorm gewonnen und sogar der Bezirk hat, denke ich, von dem Hype um die Aktion profitiert.“ Laternser freut sich weiter: „Die Aktion Turmkunst war ein voller Erfolg. Die Menschen schauen endlich wieder hoch und bewundern das skurrile Bauwerk und die prägnante Form.“

Eine Buchpräsentation über die Kunstaktion wird am 9.9.2010 um 18:00 bei Hugendubel in der Schloßstraße 110 stattfinden. Das im Restaurant eingerichtete Kunstcafé, eine temporäre Einrichtung, ist jetzt geschlossen. Wasserschäden am Bausockel haben die Nutzung der Restaurantfläche bis auf weiteres verschoben. Derzeit nützen die Mieter die Sommerpause, um zu bauen; eine Restauranteröffnung ist für 2011 geplant. Da wird sich Frau Dr. Epp von www.rettet-den-bierpinsel.de freuen. "Im Jahr 2005 habe ich tatsächlich im Bierpinsel gespeist - was mir dabei am besten im Gedächnis geblieben ist, war der Ausblick. Von daher wäre es tatsächlich begrüßenswert, wenn man es schaffen würde, dort wieder ein Restaurant oder ähnliches einzurichten".

Eine gute Nachricht kommt hinzu. Der Bierpinsel, wofür in den abrisswütigen 1970er Jahren ausnahmsweise keine historischen Gebäude aufgeopfert werden müsste, steht, laut Steglitzer Stadtrat Uwe Stäglin, heute nicht unter der Bedrohung eines Abrisses. Herr Stäglin, wie Frau Epp, kann selber von einem Schmaus im ehemaligen Turm Restaurant berichten. Und er versichert dass die Gondel nächstes Jahr wieder Monochrom wird – und zwar in ihrer historischen Wiedererkennungsfarbe, dem Signalrot.

von T. W. Donohoe

http://www.turmkunst.de/
http://www.rettet-den-bierpinsel.de/
http://www.stadtteilzeitung-schoeneberg.de/kunstobjekt-bierpinsel/


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