Stolpersteine für die Familie Kerz

Louise Kerz Hirschfeld bei der Gedenkveranstaltung in der Stierstraße. Rechts der Dramatiker Rolf Hochhuth
Foto: Thomas Protz


Nathan und Nechuma Kerz und ihre Kinder

Die Initiative Stolpersteine Stierstraße gedenkt mit der Übergabe von drei Stolpersteinen der Familie Kerz, ehemaligen Nachbarn in der Stierstraße 4. Allein in der Stierstraße hat die Initiative dann 42 Stolpersteine verlegen lassen. Damit ist die Stierstraße die mit den meisten Stolpersteinen in Berlin. Mit dem Gedenken durch die Steinverlegungen geht auch eine intensive Biografiearbeit der mittlerweile 12-köpfigen Initiativegruppe einher.


Stolperstein der Familie Kerz
Foto: Thomas Protz


Nathan Kerz, geboren am 25.8.1886 in Gorlice, Polen, kam 1910 oder 1911 nach Berlin zusammen mit seiner Frau Nechuma (geborene Spira, geb. am 17.7.1891 ebenfalls in Gorlice). Sie arbeiteten stets zusammen, und zwar zunächst als Damenschneider in der Linienstraße, später in der Schönhauser Allee, wo Leo geboren wurde. Da das Geschäft expandierte, zog die Familie 1917 in die Friedrichstraße 113 a, Nähe Oranienburger Tor.

Nechuma arbeitete als Betriebsleiterin und Nathan als Konfektionär und Designer. Es fanden jährlich vier Modenschauen statt, und es wurden ständig drei oder vier Models beschäftigt. In jeder Saison fuhr Nathan nach Paris, um die Modetrends zu beobachten.
Nechuma Kerz reiste mit der Kollektion, die vom Modehaus Nathan Kerz entworfen und hergestellt wurde. Das Modehaus beschäftigte zu dieser Zeit etwa 20 bis 30 Mitarbeiter: Zuschneider, Kürschner, Näherinnen sowie zwei Buchhalter und Rechnungsprüfer.

1926 oder 1927 zog die Familie in die Stierstraße 4; das Geschäft befand sich seit 1923 oder 24 in der Charlottenstraße 18. Die Modefirma vergrößerte sich weiterhin, so dass die Eheleute Kerz schließlich eine sehr große Firma führten.

Die Eltern und Charlotte blieben bis 1934 in Berlin; dann verließen sie ihre prosperierende Firma und flohen nach Holland.
Anfang 1939 bemühten sich Nathan, Nechuma und Charlotte um Visa zur Einreise in die USA mit Hilfe von Affidavits ihrer Tanten Sadie und Rose sowie deren Mann George, die in Great Neck, Long Island, lebten. Ende 1938 hatten sie die Affidavits erhalten und warteten auf die Visa. Die Einreisequoten für das kleine Holland waren sehr gering, und viele deutsche Emigranten wollten ebenfalls den Nachbarstaat Deutschlands verlassen und hatten Visa für die USA beantragt. Doch das Jahr 1939 verstrich, ohne dass die Familie die Visa erhielt, und mit dem Ausbruch des Weltkriegs im September, mit dem deutschen Überfall auf Polen, wurden keine Visa mehr erteilt.

Nathan Kerz starb in Den Haag, kurz bevor Nechuma und Charlotte nach Sobibor deportiert und dort ermordet wurden.

Nur der Sohn Leo, geboren am 1.11.1912 in Berlin, entkam dem Holocaust: Der Bühnenbildner ging zunächst nach Prag, Amsterdam und London; 1936 nach Südafrika, wo er als Bühnenbildner am Standard-Theater und Dozent an der Universität Witwaterstrand in Johannesburg arbeitete.

Für ihn eröffnete sich die Möglichkeit, in die USA einzureisen, da die USA für Südafrika die Einreise vereinfachte – eben weil es weit entfernt war vom europäischen Krieg. Im Dezember 1941 erreichte Leo Kerz mit seiner Frau und Sohn New York. In Manhattan lebte praktisch für Leo das Berlin der 20er Jahre wieder auf: Die Theatermacher, die Leo in Berlin bewundert hatte, lebten inzwischen ebenfalls hier: Piscator, Brecht, Weill, Aufricht – ebenso wie die Kritiker Julius Bab, Kurt Pinthus und Manfred Georg. Er konnte wieder als  Bühnenbildner arbeiten und war gelegentlich Produzent an Broadway Theatern.

1962 lebte er fast ein Jahr nochmals in Berlin und arbeitete an der Aufführung von Rolf Hochhuths Stück Der Stellvertreter (The Deputy) mit Erwin Piscator (der seit 1951 wieder in Deutschland lebte).

Als Leo Kerz 1976 starb, bezeichnete John Russel ihn in der New York Times als einen der letzten überlebenden Vertreter des Goldenen Zeitalters des Deutschen Theaters, das verbunden ist mit den Namen Max Reinhard und Erwin Piscator. Mit Reinhard, Piscator und Brecht und anderen Exilkünstlern trug Leo Kerz zu einem bleibenden Beitrag zu Erscheinungsbild und Inhalt des amerikanischen Theaters bei.

Am Donnerstag, den 19. August wurden gegen Mittag für Nathan Kerz, Nechuma Kerz und Charlotte Kerz Stolpersteine vor dem Haus Stierstraße 4 in das Pflaster des Bürgersteiges eingelassen. Die Stolpersteininitiative Stierstraße organisierte eine Gedenkstunde, um an die ermordeten Nachbarn zu erinnern. Zu Gast waren aus den USA die Witwe von Leo Kerz, Luise Kerz-Hirschfeld mit ihren Söhnen Jonathan und Antonie. Bislang wurden etwa  20.000 Stolpersteine in Deutschland und inzwischen auch in einigen von den Nationalsozialisten überfallenen Nachbarstaaten gelegt.

Der biografische Text über die Familie Kerz ist geschrieben von
Petra Fritsche (Stolpersteininitiative Stierstraße).

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September 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis