Von "A" nach "B" durch Schöneberg und Steglitz
Der Beginn der "Eisenbahnzeit"

Na, haben Sie sich auch kräftig geärgert, sind zu spät oder gar nicht angekommen, weil die BVG in den letzten Wochen gestreikt hat? Mühelos von "A" nach "B" zu kommen, ist für uns selbstverständlich geworden, bei einem Fahrplan mit Fünf-Minuten-Takt muss man sich nicht einmal mit den genauen Abfahrtszeiten beschäftigen. Wenigstens die S-Bahn fuhr... Seit wann gibt es diese Transportmöglichkeit auf der Schiene überhaupt? Bei uns seit 170 Jahren!

1838 wurde die Eisenbahnstrecke Berlin-Potsdam feierlich eröffnet. Nur zur Orientierung: Sie verlief im Schöneberger Bereich entlang der heutigen "S 1"-Linie. Die Fahrt zwischen den beiden Residenzstädten Berlin und Potsdam dauerte ca. 40 Minuten.

Oft zitiert worden sind die Worte des Königs, der im Vorfeld von dem Projekt überzeugt werden sollte und beim Hervorheben der kurzen Fahrzeit - "Majestät können um 8 Uhr losfahren und sind um 9 Uhr schon in Potsdam" - lapidar geantwortet haben soll: "Was soll ich um neun schon in Potsdam?"

Haltepunkte (so heißen Bahnhöfe ohne Umsteigemöglichkeit auch heute noch in der Fachsprache der Eisenbahner) gab es nur in Steglitz, Zehlendorf, Machnower Heide und Kohlhasenbrück. Der Fahrpreis war nach Klassen von 7,5 bis 17,5 Silbergroschen gestaffelt, nur für den mitfahrenden Hund brauchten lediglich 2,5 Silbergroschen entrichtet zu werden. Viermal am Tag fuhr der Zug - von Dampflokomotiven angetrieben - in jede Richtung. Streng verboten war "ein seitwärts Hinausbiegen aus dem Wagen oder ein Aufstehen, wohl gar ein Aufsteigen auf die Bänke", geraucht werden durfte erst seit dem Jahr 1842.

Beachtlich aus heutiger Sicht war die Planungszeit der Bahnstrecke: Die erste Aktionärsversammlung der privaten Finanzierungsgesellschaft tagte Anfang 1836, der erste Spatenstich (das war damals wirklich ein solcher!) erfolgte 1837 und die feierliche Eröffnung im Oktober des Folgejahres. Viele Stationen kamen in den 170 Jahren dazu, und seit 1933 ist der Streckenabschnitt durch Schöneberg elektrifiziert.
Doch der Bau eines bestimmten Bahnhofs scheint etwas schwierig zu sein: Seit 1984 ist die Wiederherstellung des Haltepunktes an der Kolonnenstraße geplant.

Es gab hier schon einen Bahnhof, und zwar den Bahnhof Schöneberg (der heutige Bahnhof Schöneberg hieß Bahnhof Ebersstraße). Der Zweite Weltkrieg brachte wie überall Zerstörung, die Reste der Bahnhofsanlagen wurden 1947 abgerissen. Beim Wiederaufbau wurde auf ihn verzichtet. Die gesamte Situation war seinerzeit kompliziert, weil die S-Bahn der Reichsbahn und damit der DDR-Verwaltung unterstand. Erst 1983 wurde die S-Bahn von der BVG übernommen.

Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben: Der Bahnhof sollte wieder aufgebaut werden, da die Strecke zwischen Yorckstraße/ Großgörschenstraße und Ringbahn doch sehr lang ist und damit der nächst gelegene Bahnhof von den Anwohnern - speziell denjenigen auf der Roten Insel - schlecht erreicht werden kann. Doch dann kam die Wiedervereinigung, und das Geld wurde woanders gebraucht. Nun, nach der Jahrtausendwende, ein neuer Anlauf. Aber schon wieder dauert es unverhältnismäßig lange. Da aber an den Wochenenden die Strecke wegen der Bauarbeiten gesperrt ist, müsste es bald soweit sein...
Fest steht, der Bahnhof erhält den Namen "Julius-Leber-Brücke" statt Kolonnenstraße. Julius Leber, der Reichstagsabgeordnete für die SPD, war aktiv im Widerstand tätig. Eine kleine Kohlenhandlung in der Torgauer Straße, deren Mitinhaber er war, bot eine ideales Versteck für solche Aktivitäten. Er hatte Verbindung zur Gruppe um Goerdeler und zum Kreisauer Kreis. Sogar für das Amt des Innenministers einer provisorischen Regierung war er schon vorgesehen. Nachdem das Attentat von Graf Stauffenberg auf Hitler am 20. Juli 1944 gescheitert war, wurde auch Julius Leber verhaftet und 1945 in Plötzensee hingerichtet.

Czeminski, der Namensgeber für die Straße parallel zum neuen Bahnhof, war Stadt- und Bezirks-verordneter für die SPD in Schöneberg (nicht irritiert sein über die Reihenfolge, in jener Zeit - 1920 - erfolgte die Eingemeindung der Stadt Schöneberg nach Berlin), war außerdem Stadtrat und Mitglied des preußischen Staatsrates. Sein Wirkungskreis lag auch in der Lindenhofsiedlung, wo er aktives Genossenschaftsmitglied war. Franz Czeminski gehörte zu den ersten Verfolgten des NS-Regimes: Im April 1933 wurde er in der Kaserne in der General-Pape-Straße, wo so viele willkürlich Inhaftierte einsaßen, gefoltert. Über sein weiteres Schicksal ist nicht mehr viel bekannt.

Die Umbenennung der Sedanstraße in Leberstraße und der Siegfriedstraße in Czeminskistraße waren nach dem Krieg eine kleine Ehrung für so viel Mut. Wenn durch den Bahnhofsnamen das Schicksal der Widerstandskämpfer wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein gerückt werden sollte, kann er nicht groß genug angeschrieben werden.

Zum Schluss soll noch ein Name nicht unerwähnt bleiben: August Leopold Crelle war der Konstrukteur der Eisenbahnstrecke! Hier ein Auszug aus seinem Lebenswerk: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts arbeitete er als Oberbaurat in Westfalen. 1815/ 16 wurde er in der Oberbaudeputation für Militär-, Zoll- und Wasserbauten und Straßen zu-ständig. 1816 bis 1826 hat er in Preußen zahlreiche Chausseen angelegt. Nach seinen Entwürfen wurden die ersten preußischen Eisenbahnanlagen von Berlin nach Potsdam gebaut.

Crelle muss außerordentlich vielseitig gewesen sein: Als weitere Berufe werden Mathematiker und Publizist genannt. Er gab die erste deutschsprachige mathematische Zeitung, das "Journal für reine und angewandte Mathematik" - auch "Crelles Journal" genannt - heraus. Viele Jahre wohnte er in der Potsdamer Straße, eine Gedenktafel am Pallasseum erinnert daran.

Doch zurück zum Bahnhof: Am 30.4.2008 soll er feierlich eröffnet werden. Mir fällt bei dem Datum schmunzelnd die Walpurgisnacht ein. Sollte es also mit der Einweihung nicht klappen, müssen die Schöneberger Hexen weiterhin ihren Besen benutzen... (kleiner Scherz am Rande). Eine Belebung des Umfelds ist nach der Eröffnung zu erwarten, die kleinen Geschäfte in der Kolonnenstraße könnten durch die Umsteigemöglichkeit neue Kunden gewinnen. Gerade zwischen Bahntrasse und Kaiser-Wilhelm-Platz ist so ein "Anschub" dringend notwendig. Hoffen wir also, dass der neue Bahnhof unser Stadtleben bereichert.

Marina Naujoks

Beiträge zum S-Bahnhof in der Stadtteilzeitung:

 

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April 2008  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis